Kein Widerruf von Aufhebungsverträgen/Gebot fairen Verhandelns

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 7. Februar 2019 – 6 AZR 75/18 –

Ein Arbeitnehmer kann einen Aufhebungsvertrag, mit dem sie ein Arbeitsverhältnis beendet hat, auch dann nicht widerrufen, wenn sie diesen in ihrer Privatwohnung abgeschlossen hat. Ein Aufhebungsvertrag kann allerdings unwirksam sein, wenn er auf der Missachtung des Gebots fairen Verhandelns basiert.

Laut BGB hat der Verbraucher gemäß § 312 Abs. 1 iVm. § 312g BGB ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB bei Verträgen, die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen wurden. Auch Arbeitnehmer gelten als Verbraucher. Allerdings sind arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge nicht in den Anwendungsbereich der §§ 312 ff. BGB einbezogen.

Im vorliegenden Fall wurde jedoch nicht die arbeitsvertragliche Nebenpflicht geprüft, ob das Gebots des fairen Verhandelns vor Abschluss des Aufhebungsvertrags auch beachtet wurde.

Dieses Gebot wird verletzt, wenn eine Seite eine psychische Drucksituation schafft, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags erheblich erschwert.

Dies könnte z.B. dann der Fall sein, wenn eine krankheitsbedingte Schwäche de Arbeitnehmer bewusst ausgenutzt wurde.

Der Arbeitgeber hätte dann Schadensersatz zu leisten und müsste den Zustand herstellen, der ohne die Pflichtverletzung bestünde (sog. Naturalrestitution, § 249 Abs. 1 BGB). Der Arbeitnehmer wäre dann so zu stellen, als hätte er den Aufhebungsvertrag nicht geschlossen. Dies würde zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses führen. Das Landesarbeitsgericht muss daher die Wirksamkeit des Aufhebungsvertrags daher erneut überprüfen.

Fristlose Kündigung unwirksam bei Ablehnung „Home-Office“

Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.10.2018 – 17 Sa 562/18

Arbeitnehmer lehnt Tätigkeit im „Home-Office“ ab – Fristlose Kündigung unwirksam:

Der Arbeitgeber bot dem Arbeitnehmer nach einer Betriebsschließung an, seine Tätigkeit im „Home-Office“ zu verrichten. Da der Arbeitnehmer hierzu nicht bereit war, kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung.

Nach dem Arbeitsgericht Berlin wie auch dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Urteil, Az. 17 Sa 562/18) war die Kündigung unwirksam, das der Arbeitgeber ist nicht schon wegen seines arbeitsvertraglichen Weisungsrechts berechtigt war, dem Arbeitnehmer einen Telearbeitsplatz zuzuweisen.

Verwehrt sich der Arbeitnehmer gegen die Telearbeit, liegt darin keine beharrliche Arbeitsverweigerung. Der Arbeitnehmer war vertraglich nicht verpflichtet, die ihm angebotene Telearbeit zu verrichten, da sich die Umstände der Telearbeit erheblich von einer Tätigkeit, die in einer Betriebsstätte zu verrichten sind, unterscheiden. Dass Arbeitnehmer z.B. zur besseren Vereinbarung von Familie und Beruf an so einer Telearbeit interessiert sein können, führt jedenfalls nicht zu einer Erweiterung des Weisungsrechts des Arbeitgebers.

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 12.2.2015, 6 AZR 845/13

Leitsätze

Der dringende Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung des Auszubildenden kann einen wichtigen Grund zur Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses nach § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG darstellen.

Tatbestand

1. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung eines Berufsausbildungsverhältnisses sowie über davon abhängige Vergütungsansprüche des Klägers.

2. Der 1989 geborene Kläger nahm zum 1. August 2010 eine Ausbildung zum Bankkaufmann bei der beklagten Bank auf. Die Ausbildungszeit sollte zum 31. Januar 2013 enden.

3. Am 11. Februar 2011 und am 30. März 2011 meldete sich der Kläger arbeitsunfähig und nahm am Berufsschulunterricht nicht teil. Er besuchte an diesen Tagen eine Spielhalle, wo er mehrere Zahlungen mit seiner EC-Karte vornahm und dabei sein Konto überzog.

4. Am 20. Juni 2011 war er mit dem Bankkaufmann S in der Filiale der Beklagten in G tätig. Der Kläger zählte an diesem Tag das sich in den Nachttresor-Kassetten befindliche Geld mit einer Zählmaschine. Dabei war Herr S nicht anwesend. Es ist ungeklärt, ob die Bündelung der Geldscheine nach der Zählung durch den Kläger oder Herrn S erfolgte. Im späteren Verlauf des Tages schweißte Herr S die Geldbündel zur Weiterleitung an die Landeszentralbank ein. Die Zentralbank stellte einen Kassenfehlbestand von 500,00 Euro in Form von zehn fehlenden 50-Euro-Scheinen fest. Hiervon erlangte die Beklagte am 28. Juni 2011 Kenntnis.

5. Die Beklagte bat den Kläger zu einem Personalgespräch am 30. Juni 2011. Diesen Termin nahm der Kläger aus persönlichen Gründen nicht wahr. Es wurde daraufhin eine Verlegung auf den 4. Juli 2011 vereinbart, obwohl dem Kläger ab diesem Tag für zwei Wochen Urlaub bewilligt worden war. Am 3. Juli 2011 sagte der Kläger den Termin ab, weil er kurzfristig am nächsten Tag noch in den Urlaub fliege. Das Gespräch fand schließlich am 21. Juli 2011 statt. Dem Kläger wurden die beabsichtigten Gesprächsthemen vorher nicht mitgeteilt. An dem Treffen nahmen das Vorstandsmitglied Si, der Ausbildungsleiter K sowie der Kläger teil.

6. Der Kläger räumte bei der Unterredung ein, dass er den Termin am 4. Juli 2011 nicht wegen einer Flugreise abgesagt habe. Er habe vielmehr zwei Wochen in einer Gießerei gearbeitet. Es wurden sodann die Fehlzeiten des Klägers im Berufsschulunterricht sowie seine Spielhallenbesuche besprochen. Der Kläger teilte mit, dass er wegen des Glückspiels Therapiestunden bei einer Beratungsstelle besuche. Über deren Inhalt und Zielsetzung ist nichts Näheres bekannt. Die Vertreter der Beklagten sprachen den Kläger auf Kassenfehlbeträge in Filialen, in denen der Kläger eingesetzt wurde, an. Dies betraf eine Differenz iHv. 50,00 Euro am 3. Juni 2011 in der Filiale D sowie die fehlenden 500,00 Euro am 20. Juni 2011 in G. Der diesbezügliche Gesprächsverlauf ist zwischen den Parteien streitig geblieben.

7. Mit Schreiben vom 22. Juli 2011 teilte die Beklagte dem bei ihr gebildeten Betriebsrat unter Nennung der Sozialdaten des Klägers mit, dass sie beabsichtige das Ausbildungsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgemäß zu kündigen. Dem Betriebsrat wurde der Kassenfehlbetrag von 500,00 Euro am 20. Juni 2011 genannt. Da der Kläger alleine gebündelt habe und dies nicht nachkontrolliert worden sei, müsse die Beklagte „davon ausgehen, dass er die Differenz ‚verursacht‘ habe“. Im Gespräch mit Herrn Si und Herrn K habe der Kläger selbst die Höhe des Fehlbetrags genannt. Ferner habe er zugegeben, dass die Differenz in D am 3. Juni 2011 von ihm verursacht worden sei. Der Kläger habe weiterhin ausgeführt, dass er spielsüchtig sei. Zudem enthält die Betriebsratsanhörung Angaben zu den Fehlzeiten in der Berufsschule und zu der nicht genehmigten Arbeit in einer Gießerei während des Erholungsurlaubs. Insgesamt sei der Kläger für die Bank nicht mehr tragbar. Die Fortführung des Ausbildungsverhältnisses mit ihm stelle ein erhöhtes Risiko dar.

8. Der Betriebsrat stimmte der Kündigung noch mit Vermerk vom 22. Juli 2011 zu. Daraufhin kündigte die Beklagte das Ausbildungsverhältnis mit Schreiben vom 22. Juli 2011 außerordentlich fristlos zum 25. Juli 2011 und hilfsweise ordentlich zum 30. September 2011. Darin wurde die Kündigung entsprechend der Unterrichtung des Betriebsrats begründet. Die für das Ausbildungsverhältnis unverzichtbare Vertrauensbasis sei nicht mehr gegeben und könne auch nicht wieder hergestellt werden. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 25. Juli 2011 zu.

9. Mit seiner am 1. August 2011 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage vom 29. Juli 2011 hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt. Das von ihm mit weiterem Schreiben vom 29. Juli 2011 beantragte Verfahren vor dem Schlichtungsausschuss der Industrie- und Handelskammer (IHK) T endete am 12. September 2011 ohne Einigung. Der Ausschuss fällte allerdings keinen Spruch. Er stellte lediglich das Scheitern der Verhandlungen fest. Damit sei der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet.

10. Nach Ansicht des Klägers ist die streitgegenständliche Kündigung unwirksam. Eine Verdachtskündigung sei im Ausbildungsverhältnis nicht zulässig. Eine solche widerspreche dem Zweck und Charakter der Berufsausbildung. Sie sei auch mit der besonderen Fürsorgepflicht des Ausbildenden nicht zu vereinbaren. Zudem bestehe kein hinreichender Tatverdacht. Er habe zwar entgegen der Anweisung, dass ein Auszubildender bei einem Zählvorgang durch einen Bankkaufmann kontrolliert werden müsse („Vier-Augen-Prinzip“), die Zählungen am 20. Juni 2011 in G alleine vorgenommen. Die Bündelung und das Einschweißen der Geldscheine sei jedoch durch Herrn S erfolgt. Dieser habe somit ebenso Zugriff auf das Geld gehabt wie andere Beschäftigte der Beklagten in dieser Filiale. Die Geldbestände seien nicht durchgehend gesichert gewesen. Die Beklagte habe sich auch nicht durch eine entsprechende Befragung von Herrn S einen vollständigen Überblick über die Geschehnisse verschafft.

11. Die Besprechung am 21. Juli 2011 sei keine ordnungsgemäße Anhörung gewesen. Dazu wäre die vorherige Mitteilung des beabsichtigten Gesprächsinhalts erforderlich gewesen. Die Beklagte hätte ihn darauf hinweisen müssen, dass er einen Rechtsanwalt oder eine sonstige Person seines Vertrauens hinzuziehen könne. Sie stelle zudem den Gesprächsverlauf falsch dar. Er habe nicht von sich aus den Fehlbetrag von 500,00 Euro genannt. Vielmehr hätten die Vertreter der Beklagten vorher erwähnt, dass zehn 50-Euro-Scheine gefehlt hätten. Daher sei ihm der Gesamtbetrag bekannt gewesen. Im Übrigen wäre die Anhörung auch fehlerhaft, wenn er erstmals die Summe von 500,00 Euro genannt hätte, denn dann hätte die Beklagte ihn anlässlich der Begründung eines Verdachts wegen Offenbarung von Täterwissen zu einer erneuten Anhörung einladen müssen. Die bloße Fortsetzung des Gesprächs stelle keine ordnungsgemäße Anhörung bezüglich dieser neuen Verdachtstatsachen dar. Zudem habe die Beklagte bei der Anhörung gegen datenschutzrechtliche Vorgaben (§§ 4, 32 BDSG) verstoßen.

12. Die Kündigung scheitere auch an dem Fehlen einer einschlägigen Abmahnung sowie an der vorzunehmenden Interessenabwägung. Bei dieser sei zu berücksichtigen, dass er kurz vor Vollendung seines ersten Ausbildungsjahres gestanden habe und das Berufsausbildungsverhältnis für ihn von existenzieller Bedeutung sei. Der in Frage stehende wirtschaftliche Schaden der Beklagten sei „überschaubar“. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte das Entstehen einer solch unklaren Situation bei einem Fehlbetrag maßgeblich zu verantworten habe. Wären die Vorgaben hinsichtlich des „Vier-Augen-Prinzips“ bei einem Zählvorgang und einer stringenten Kontrolle der Auszubildenden beachtet worden, wäre der Verdacht gegen ihn nicht entstanden. Durch eine konsequente Anwendung der Sicherheitsvorschriften könne die Beklagte künftig die Entstehung einer solchen Problematik ausschließen.

13. Weiterhin sei die Zwei-Wochen-Frist des § 22 Abs. 4 BBiG versäumt. Angesichts einer Kenntniserlangung von dem Fehlbetrag am 28. Juni 2011 und einem bewilligten Erholungsurlaub vom 4. Juli bis zum 18. Juli 2011 hätte die Beklagte ihn entweder noch in der Woche bis zum 1. Juli 2011 oder schriftlich anhören müssen.

14. Die Kündigung sei außerdem mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats unwirksam. Der Anhörung sei nicht zu entnehmen, welche konkrete Handlung ihm vorgeworfen werde. Es werde nicht deutlich, dass es sich um eine Verdachtskündigung handeln solle. Zudem sei der Betriebsrat inhaltlich falsch unterrichtet worden. Er, der Kläger, habe nie erklärt, den Fehlbetrag von 50,00 Euro in D verursacht zu haben und spielsüchtig zu sein.

15. Die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung sei unwirksam, da ein Berufsausbildungsverhältnis nach Ablauf der Probezeit nur außerordentlich gekündigt werden könne. Die Beklagte sei zur Nachzahlung der Ausbildungsvergütung iHv. monatlich 907,00 Euro für die Zeit von August 2011 bis einschließlich November 2011 sowie des anteiligen dreizehnten Monatseinkommens iHv. 1.360,50 Euro brutto verpflichtet.

16. Der Kläger hat daher zuletzt beantragt

1. festzustellen, dass das Ausbildungsverhältnis durch die fristlose Kündigung vom 22. Juli 2011, zugegangen am 25. Juli 2011, nicht aufgelöst worden ist;

2. festzustellen, dass das Ausbildungsverhältnis durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung zum 30. September 2011 nicht aufgelöst worden ist;

3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 907,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 1. September 2011 zu zahlen;

4. die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 907,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 1. Oktober 2011 zu zahlen;

5. die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 907,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 1. November 2011 zu zahlen;

6. die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 1.360,50 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 1. Dezember 2011 zu zahlen.

17. Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag mit der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 22. Juli 2011 begründet. Die Verdachtskündigung eines Ausbildungsverhältnisses sei jedenfalls dann möglich, wenn dessen besonderer Charakter eine vertiefte Vertrauensbasis erfordere. Dies sei bei der Ausbildung zum Bankkaufmann der Fall. Die Voraussetzungen einer wirksamen Verdachtskündigung seien hier erfüllt. Die Anhörung des Klägers am 21. Juli 2011 sei ordnungsgemäß erfolgt. Die Themen der Besprechung hätten dem Kläger vorher nicht bekannt gegeben werden müssen. Zudem habe sich der Verdacht eines Vermögensdeliktes erst im Verlauf des Gesprächs ergeben. Der Kläger habe von sich aus einen Fehlbetrag von 500,00 Euro genannt, ohne dass diese Summe oder fehlende Einzelbeträge zuvor erwähnt worden seien.

18. Es seien alle möglichen und erforderlichen Aufklärungsmaßnahmen durchgeführt worden. Nachdem der Kläger im Gespräch am 21. Juli 2011 durch Preisgabe seines Täterwissens den Verdacht begründet habe, wäre eine weitere Anhörung bloße Förmelei gewesen. Der Ausbildungsleiter K habe auch Herrn S telefonisch befragt. Dieser habe mit einer E-Mail noch am 21. Juli 2011 mitgeteilt, dass der Kläger das Geld am 20. Juni 2011 sowohl gezählt als auch gebündelt habe.

19. Der begründete Verdacht der Unterschlagung von 500,00 Euro habe das erforderliche Vertrauen zu dem Kläger zerstört. Dabei sei auch die Spielsucht zu berücksichtigten, welche der Kläger am 21. Juli 2011 ausdrücklich eingeräumt habe. Deshalb habe er sich in Therapie befunden. Der Betriebsrat sei auch in diesem Punkt ordnungsgemäß unterrichtet worden.

20. Die Vorinstanzen haben die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageziele weiter.

Entscheidungsgründe

21. Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Das Berufsausbildungsverhältnis wurde durch die Kündigung der Beklagten vom 22. Juli 2011 gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG mit ihrem Zugang am 25. Juli 2011 beendet. Mangels eines darüber hinausgehenden Bestands des Ausbildungsverhältnisses ist die Klage auch unbegründet, soweit sie sich gegen die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung zum 30. September 2011 richtet und Vergütungsansprüche für die Zeit ab dem 1. August 2011 zum Gegenstand hat.

22. I. Die Klage ist zulässig.

23. 1. Die nach § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG erforderliche Verhandlung vor dem bei der IHK T gebildeten Schlichtungsausschuss ist erfolgt.

24. a) Die nach § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG erforderliche Anrufung eines bestehenden Schlichtungsausschusses ist eine von Amts wegen zu beachtende Prozessvoraussetzung für arbeitsgerichtliche Klagen in Ausbildungsstreitigkeiten. Nach § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG muss der Klage in allen Fällen die Verhandlung vor dem Ausschuss vorangegangen sein. Der Mangel der Nichtanrufung des Schlichtungsausschusses kann jedoch nach Klageeinreichung noch geheilt werden, wenn das Schlichtungsverfahren gemäß § 111 Abs. 2 ArbGG nachgeholt wird. Die Klage wird dann nachträglich zulässig (vgl. BAG 13. März 2007 – 9 AZR 494/06 – Rn. 10).

25. b) Die Parteien verhandelten vor dem Schlichtungsausschuss der IHK T am 5. September 2011. Ausweislich des Protokolls erging jedoch entgegen § 111 Abs. 2 Satz 3 ArbGG kein Spruch. Es fand nur eine mündliche Verhandlung statt (§ 111 Abs. 2 Satz 2 ArbGG). Dies ist grundsätzlich unzureichend für die Erfüllung der Prozessvoraussetzung (vgl. GMP/Prütting ArbGG 8. Aufl. § 111 Rn. 19; GK-ArbGG/Mikosch Stand Juni 2014 § 111 Rn. 24). Ausweislich des Protokolls wurde allerdings festgestellt, dass mangels einer Einigungsmöglichkeit die Verhandlung gescheitert und den Parteien der Weg zum Arbeitsgericht eröffnet sei. Hierdurch hat der Ausschuss den Abschluss des Verfahrens zum Ausdruck gebracht. Der Prozessvoraussetzung des § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG ist damit Genüge getan. Verweigert der Ausschuss den ordnungsgemäßen Abschluss des Schlichtungsverfahrens, ist der betroffene Antragsteller prozessual nicht schlechter zu stellen, als wenn der Ausschuss die Durchführung des Verfahrens gänzlich verweigert oder mitgeteilt hätte, dass ein Spruch nicht möglich sei. Auch in diesen Fällen kann die Klage erhoben werden (vgl. Zimmermann in Natter/Gross ArbGG 2. Aufl. § 111 Rn. 28; HWK/Kalb 6. Aufl. § 111 ArbGG Rn. 22; GK-ArbGG/Mikosch Stand Juni 2014 § 111 Rn. 21). Das Unterbleiben einer Entscheidung kann dem Antragsteller nicht angelastet werden (BAG 27. November 1991 – 2 AZR 263/91 – zu B I der Gründe).

26. 2. Für die beiden Feststellungsanträge ist das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse gegeben, obwohl die Ausbildungszeit und damit das Berufsausbildungsverhältnis mangels Erfüllung eines Verlängerungstatbestands spätestens zum 31. Januar 2013 geendet hat (§ 21 Abs. 1 Satz 1 BBiG). Wäre die streitgegenständliche Kündigung unwirksam, so hätte dies Konsequenzen für den Inhalt des nach § 16 BBiG zu erteilenden Zeugnisses. Der Kläger könnte zudem ggf. weitere Vergütung sowie Schadensersatz nach § 23 BBiG verlangen (vgl. BAG 13. März 2007 – 9 AZR 494/06 – Rn. 12; 17. Juli 2007 – 9 AZR 103/07 – Rn. 11, BAGE 123, 247 zu § 16 Abs. 1 BBiG aF).

27. II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Beklagte hat das Ausbildungsverhältnis wegen des dringenden Verdachts der rechtswidrigen Zueignung von 500,00 Euro Bargeld wirksam zum 25. Juli 2011 gekündigt.

28. 1. Entgegen der Auffassung der Revision kann der dringende Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung des Auszubildenden einen wichtigen Grund iSd. § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG darstellen.

29. a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB zur außerordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses bilden (BAG 20. Juni 2013 – 2 AZR 546/12 – Rn. 14, BAGE 145, 278; vgl. auch 21. November 2013 – 2 AZR 797/11 – Rn. 16, BAGE 146, 303). Eine auf einen solchen Verdacht gestützte Kündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich der Verdacht auf objektive Tatsachen gründet, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (st. Rspr., vgl. BAG 25. Oktober 2012 – 2 AZR 700/11 – Rn. 13, BAGE 143, 244). Der Verdacht muss auf konkrete – vom Kündigenden darzulegende und ggf. zu beweisende – Tatsachen gestützt sein. Der Verdacht muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er in der Sache zutrifft (BAG 25. Oktober 2012 – 2 AZR 700/11 – Rn. 14, aaO; 25. November 2010 – 2 AZR 801/09 – Rn. 16).

30. b) Die in Art. 6 Abs. 2 MRK verankerte Unschuldsvermutung steht der Verdachtskündigung entgegen der Auffassung der Revision nicht entgegen. Die Unschuldsvermutung bindet unmittelbar nur den Richter, der über die Begründetheit der Anklage zu entscheiden hat (BAG 14. September 1994 – 2 AZR 164/94 – zu II 3 c der Gründe, BAGE 78, 18). Bei der Verdachtskündigung geht es nicht um die Verhängung einer Strafe, sondern um die Beendigung eines privatrechtlichen Dauerschuldverhältnisses (vgl. Krause in vHH/L 15. Aufl. § 1 Rn. 466; HaKo/Gallner 4. Aufl. § 1 Rn. 633; Hoefs Die Verdachtskündigung S. 92, 93).

31. c) Der dringende Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung des Auszubildenden kann auch die außerordentliche Kündigung eines Berufsausbildungsverhältnisses nach § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG rechtfertigen.

32. aa) Dies ist allerdings umstritten.

33. (1) Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 19. September 2006 (- 9 Sa 1555/05 – Rn. 26) entschieden, dass Verdachtskündigungen im Berufsausbildungsverhältnis grundsätzlich nicht zuzulassen seien. Eine nur in einem sehr engen Rahmen denkbare Ausnahme sei möglich, wenn der besondere Charakter des Ausbildungsverhältnisses eine vertiefte Vertrauensbasis zwischen den Vertragsparteien erfordere. In einem normalen Ausbildungsverhältnis ohne besondere Vertrauenssituation stünden dem Ausbildenden nach erfolgtem Aufklärungsversuch die Möglichkeiten der Abmahnung, ggf. der Versetzung, weit eher zur Verfügung als bei einem Arbeitnehmer, dessen Leistung an einem bestimmten Arbeitsplatz bereits bei der Einstellung fest eingeplant worden sei (zum Erfordernis besonderen Vertrauens vgl. bereits Heinze ArbuR 1984, 237, 243).

34. (2) In der Literatur wird diese Auffassung geteilt (KR/Weigand 10. Aufl. §§ 21 – 23 BBiG Rn. 48; ErfK/Schlachter 15. Aufl. § 22 BBiG Rn. 3; APS/Biebl 4. Aufl. § 22 BBiG Rn. 16; HWK/Hergenröder 6. Aufl. § 22 BBiG Rn. 6; Benecke in Benecke/Hergenröder BBiG § 22 Rn. 22; Schieckel/Oestreicher/Decker/Grüner BBiG Bd. 1 Stand 1. September 2013 § 22 Rn. 8; Schulien in Hurlebaus/Baumstümmler/Schulien Berufsbildungsrecht Stand Mai 2014 § 22 Rn. 50c; Lakies in Lakies/Malottke BBiG 4. Aufl. § 22 Rn. 48; Lakies/Nehls BBiG 3. Aufl. § 22 Rn. 47a). Es sei zu beachten, dass es sich beim Ausbildungsverhältnis nicht um ein Arbeitsverhältnis, sondern um ein besonderes Rechtsverhältnis handle, bei dem die charakterliche Förderung nach § 14 Abs. 1 Nr. 5 BBiG eine besondere Rolle spiele (Pepping in Wohlgemuth BBiG § 22 Rn. 23).

35. (3) Nach anderer Ansicht ist die Verdachtskündigung wegen ihrer erhöhten Anforderungen auch im Berufsausbildungsverhältnis zulässig (Schaub/Vogelsang ArbR-HdB 15. Aufl. § 174 Rn. 95; KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 228; Hoefs Die Verdachtskündigung S. 318; Stück in Braun/Mühlhausen/Munk/Stück BBiG § 15 Rn. 113; Herkert/Töltl BBiG Bd. 1 Stand Dezember 2014 § 22 Rn. 95 ff.; differenzierend Leinemann/Taubert BBiG 2. Aufl. § 22 Rn. 62). Die besondere Bedeutung des Ausbildungsverhältnisses könne im konkreten Einzelfall allerdings weiter gehende Einschränkungen erfordern (HK-ArbR/Herrmann 3. Aufl. § 22 BBiG Rn. 14).

36. bb) Der letztgenannten Auffassung ist zuzustimmen. Der dringende Tatverdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung des Auszubildenden kann dem Ausbildenden die Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses unzumutbar machen und daher einen wichtigen Grund zur Kündigung nach § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG darstellen. Dem besonderen Charakter des Berufsausbildungsverhältnisses ist jedoch bei der Prüfung der Voraussetzungen einer Verdachtskündigung Rechnung zu tragen.

37. (1) Berufsausbildungsverhältnisse und Arbeitsverhältnisse sind nicht generell gleichzusetzen, weil beide Vertragsverhältnisse unterschiedliche Pflichtenbindungen aufweisen (BAG 10. Juli 2003 – 6 AZR 348/02 – zu 2 a bb der Gründe, BAGE 107, 72; 16. Juli 2013 – 9 AZR 784/11 – Rn. 37, BAGE 145, 371). Inhalt eines Arbeitsverhältnisses ist nach § 611 BGB die Erbringung der vertraglich geschuldeten Leistung gegen Zahlung eines Entgelts. Demgegenüber schuldet der Auszubildende, sich ausbilden zu lassen, während die Hauptpflicht des Ausbildenden nach § 14 BBiG darin besteht, dem Auszubildenden die zum Erreichen des Ausbildungsziels erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln. Der Auszubildende schuldet im Gegensatz zu einem Arbeitnehmer keine Arbeitsleistung gegen Zahlung eines Entgelts, sondern hat sich nach § 13 Satz 1 BBiG zu bemühen, die berufliche Handlungsfähigkeit zu erwerben, die zum Erreichen des Ausbildungsziels erforderlich ist (BAG 18. Mai 2011 – 10 AZR 360/10 – Rn. 13 mwN).

38. (2) An den Vorschriften des Berufsbildungsgesetzes ist erkennbar, dass der Gesetzgeber es zur Erreichung des Ausbildungsziels für erforderlich gehalten hat, auf einen möglichst lange dauernden Bestand des Ausbildungsverhältnisses hinzuwirken und Kündigungen zu erschweren (BAG 16. Juli 2013 – 9 AZR 784/11 – Rn. 38, BAGE 145, 371). Die Erfüllung der Berufsausbildungsaufgabe verlangt eine besonders starke Bindung der Vertragsparteien (BT-Drs. V/4260 S. 11 zu § 15 BBiG aF). Konsequenterweise ist eine ordentliche Kündigung nach Ablauf der Probezeit durch den Ausbildenden nicht möglich. Es bedarf eines wichtigen Grundes iSv. § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG. Dies entspricht dem allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass jedes Dauerrechtsverhältnis aus einem wichtigen Grund fristlos gekündigt werden kann. Ein wichtiger Grund ist gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Berufsausbildungsverhältnissesbis zum Ablauf der Ausbildungszeit nicht zugemutet werden kann (BT-Drs. V/4260 aaO). Das Verständnis des wichtigen Grundes iSv. § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG entspricht somit dem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB (vgl. hierzu BAG 8. Mai 2014 – 2 AZR 249/13 – Rn. 16 mwN). Diese Parallelität spricht für die grundsätzliche Zulässigkeit der Verdachtskündigung auch im Berufsausbildungsverhältnis.

39. (3) § 10 Abs. 2 BBiG steht dem nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift sind auf den Berufsausbildungsvertrag die für den Arbeitsvertrag geltenden Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze anzuwenden, soweit sich aus dem Wesen und Zweck des Berufsausbildungsvertrags und aus dem Berufsbildungsgesetz nichts anderes ergibt. Dies ist bezogen auf die grundsätzliche Anerkennung eines Tatverdachts als wichtiger Grund iSv. § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG nicht der Fall. Auch bei Berücksichtigung der besonderen Verpflichtungen des Ausbildenden, welche nach § 14 Abs. 1 Nr. 5 BBiG auch die charakterliche Förderung des Auszubildenden umfassen, bedarf es zur zumutbaren Durchführung des Ausbildungsverhältnisses einer tragfähigen Vertrauensbasis. Insbesondere muss der Ausbildende darauf vertrauen können, dass der Auszubildende ihn nicht vorsätzlich schädigt.

40. (4) Die vom Landesarbeitsgericht Köln und Teilen der Literatur geforderte besondere Vertrauensstellung bzw. vertiefte Vertrauensbasis ist keine Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Verdachtskündigung. Die Revision führt insoweit zutreffend aus, dass ein solches Kriterium zu unbestimmt wäre. Es lässt sich nicht hinreichend eingrenzen, bei welchen Ausbildungen eine solche vertiefte Vertrauensbasis gegeben sein muss. Dieses Erfordernis kann aus unterschiedlichen Gründen gegeben sein. Es gibt Ausbildungsberufe, bei denen ein hohes Maß an Vertrauen wegen der Erlangung der Kenntnis von Betriebsgeheimnissen erforderlich ist (vgl. § 13 Satz 2 Nr. 6 BBiG). Ferner existieren Ausbildungsberufe, bei denen ein besonderes Risiko daraus resultiert, dass der Auszubildende Umgang mit gefährlichen Maschinen hat, welche auch Dritte gefährden können. Auch hier muss die entsprechende Vertrauensbasis bestehen. Eine solche Grundlage muss auch gegeben sein, wenn der Auszubildende Zugang zu Bargeldbeständen hat. Dies hängt allerdings nicht von der Ausbildung ab, sondern von den Verhältnissen im Ausbildungsbetrieb. Alle Ausbildungen in Betrieben mit nicht hinreichend gesicherten Barkassen wären erfasst. Unabhängig von dem Ausbildungsgang wäre die besondere Vertrauensstellung deshalb in einer Vielzahl von Fällen bezogen auf die Umstände im Betrieb zu prüfen. Dies gilt auch bei Zugang zu anderen Wertgegenständen. Zudem hat schon Heinze (ArbuR 1984, 237, 243) darauf hingewiesen, dass in größeren Betrieben der Auszubildende den Einsatzort öfter wechselt. Hierbei mag es Bereiche geben, in denen eine vertiefte Vertrauensbasis erforderlich ist, in anderen nicht. In der Gesamtschau ist die Unterscheidung zwischen einem „normalen Ausbildungsverhältnis“ und einem mit besonderer Vertrauensstellung kein taugliches Kriterium für die grundsätzliche Zulässigkeit der Verdachtskündigung. Eine besondere Vertrauensstellung ist vielmehr bei der Prüfung der Zumutbarkeit der Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses in die Interessenabwägung einzustellen.

41. (5) Die enge Bindung der Parteien des Berufsausbildungsvertrags ist bei der Prüfung der Voraussetzungen einer Verdachtskündigung im Einzelfall zu berücksichtigen. Dabei ist dem Umstand Sorge zu tragen, dass es sich bei Auszubildenden typischerweise um Personen mit geringer Lebens- und Berufserfahrung handelt und den Ausbildenden besondere Fürsorgepflichten sowohl in charakterlicher als auch körperlicher Hinsicht treffen (vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 BBiG). Ein Tatverdacht kann nur dann einen wichtigen Grund iSd. § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG zur Kündigung darstellen, wenn der Verdacht auch bei Berücksichtigung der Besonderheiten des Ausbildungsverhältnisses dem Ausbildenden die Fortsetzung der Ausbildung objektiv unzumutbar macht. Dies bedarf einer Würdigung der Umstände im Einzelfall.

42. (6) Vor diesem Hintergrund dringen die weiteren Einwände der Revision nicht durch.

43. (a) Es ist zwar zutreffend, dass der mit der Kündigung verbundene faktische Abbruch der Ausbildung und das Verstreichen einer ggf. erheblichen Zeitspanne bis zur Wiederaufnahme der Ausbildung für den Auszubildenden besonders schwerwiegend ist. Dies gilt jedoch auch im Falle einer Tatkündigung, bei der nach dem Unterliegen im Kündigungsschutzverfahren zudem kein Wiedereinstellungsanspruch in Betracht kommt (zu einem solchen Anspruch bei einer Verdachtskündigung vgl. ErfK/Müller-Glöge 15. Aufl. § 626 BGB Rn. 184; KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 234). Bei der Verdachtskündigung ist außerdem ein strenger Maßstab anzulegen. Die besondere Schutzwürdigkeit des Auszubildenden ist dabei im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen. Die grundsätzliche Unzulässigkeit der Verdachtskündigung ist zur Gewährleistung des Schutzniveaus nicht erforderlich.

44. (b) Auch der Hinweis auf die Möglichkeit einer verstärkten Überwachung eines in Verdacht geratenen Auszubildenden trägt nicht. Die Realisierbarkeit und Zumutbarkeit einer verstärkten Anleitung und Kontrolle muss einzelfallbezogen beurteilt werden. Eine gleichsam permanente Überwachung des Auszubildenden zur Verhinderung von Vermögensdelikten ist dem Ausbildenden in der Regel nicht zumutbar. Dies stünde auch im Widerspruch zum Charakter des Ausbildungsverhältnisses, welches dem Auszubildenden nach § 13 BBiG Pflichten auferlegt und dabei die Beachtung materieller Interessen des Ausbildenden vorschreibt (vgl. § 13 Satz 2 Nr. 5, Nr. 6 BBiG).

45. (c) Schließlich ist die Verdachtskündigung auch nicht wegen der Befristung des Ausbildungsverhältnisses auszuschließen. Dies berücksichtigt § 22 Abs. 2 BBiG bereits mit dem Ausschluss der ordentlichen Kündigung nach der Probezeit. Zudem besteht insoweit kein Unterschied zum befristeten Arbeitsverhältnis.

46. 2. Die streitgegenständliche Kündigung vom 22. Juli 2011 hat das zwischen den Parteien bestehende Berufsausbildungsverhältnis mit ihrem Zugang am 25. Juli 2011 gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG wegen des dringenden Verdachts des Diebstahls bzw. der Unterschlagung von 500,00 Euro beendet.

47. a) Die Würdigung, ob dem Auszubildenden ein Vermögensdelikt zum Nachteil seines Ausbildenden oder eine ähnlich schwerwiegende Pflichtverletzung anzulasten ist oder ob zumindest ein dahingehender dringender Verdacht besteht, liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet und ist Gegenstand der tatrichterlichen Würdigung iSd. § 286 ZPO. Diese ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob das Berufungsgericht den Inhalt der Verhandlung berücksichtigt und alle erhobenen Beweise gewürdigt hat, ob eine Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei, ohne Verletzung von Denkgesetzen sowie allgemeinen Erfahrungssätzen erfolgt und ob sie rechtlich möglich ist (vgl. BAG 20. Juni 2013 – 2 AZR 546/12 – Rn. 16, BAGE 145, 278; 18. Oktober 2012 – 6 AZR 289/11 – Rn. 43; 24. Mai 2012 – 2 AZR 206/11 – Rn. 29).

48. b) Bei Berücksichtigung dieses revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs hat das Landesarbeitsgericht die Wirksamkeit der streitgegenständlichen außerordentlichen Kündigung rechtsfehlerfrei bejaht.

49. aa) Es ist der dringende Tatverdacht der Begehung eines Vermögensdelikts zulasten der Beklagten gegeben. Dieser Verdacht ist geeignet, das für die Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören.

50. (1) Das Landesarbeitsgericht ist nach Vernehmung des Zeugen K zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger in dem Gespräch am 21. Juli 2011 von sich aus den Betrag von 500,00 Euro genannt hat, welcher als Kassendifferenz der Filiale G am 20. Juni 2011 festgestellt wurde. Dies habe der Zeuge K widerspruchsfrei im Rahmen seiner Darstellung des Gesprächsverlaufs in jeder Hinsicht glaubhaft ausgesagt. Durch diese Offenbarung von Täterwissen könne mit großer Wahrscheinlichkeit darauf geschlossen werden, dass sich der Kläger und kein anderer Mitarbeiter den fehlenden Geldbetrag zugeeignet habe. Diese Beweiswürdigung ist sowohl hinsichtlich der Bewertung der Glaubwürdigkeit des Zeugen als auch seiner inhaltlichen Aussage nicht zu beanstanden. Die Preisgabe fundamentalen Täterwissens ist ohne Hinzutreten weiterer Umstände geeignet, einen dringenden Tatverdacht zu begründen.

51. (2) Entgegen der Auffassung der Revision musste das Landesarbeitsgericht Herrn S nicht zu der Frage vernehmen, ob er oder der Kläger das Geld gebündelt hatte. Das Landesarbeitsgericht konnte die Bündelung durch Herrn S am 20. Juni 2011 zugunsten des Klägers unterstellen, ebenso wie Zugriffsmöglichkeiten anderer Mitarbeiter. In jedem Fall hätte auch Herr S die Gelegenheit zur Unterschlagung von Bargeld gehabt, weil er unstreitig am Ende des Arbeitstags die Geldbündel zum Versand an die Zentralbank eingeschweißt hat. Entscheidend war aber, dass sich der Kreis der Verdächtigen wegen der Nennung des Geldbetrags durch den Kläger auf diesen eingegrenzt hatte. Ein weiteres „Bild von den Geschehensabläufen“ durch Vernehmung des Zeugen S musste sich das Gericht entgegen der Revision nicht machen.

52. (3) Dieser Verdacht ist geeignet, das für die Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören.

53. (a) Begeht der Auszubildende eine rechtswidrige und vorsätzliche – ggf. strafbare – Handlung unmittelbar gegen das Vermögen seines Ausbildenden, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 10 Abs. 2 BBiG iVm. § 241 Abs. 2 BGB und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen (vgl. BAG 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – Rn. 26, BAGE 134, 349). Dies gilt auch dann, wenn die rechtswidrige Handlung Gegenstände von geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat. Maßgebend ist der mit der Pflichtverletzung verbundene Vertrauensbruch (BAG 31. Juli 2014 – 2 AZR 407/13 – Rn. 27; 20. Juni 2013 – 2 AZR 546/12 – Rn. 13, BAGE 145, 278).

54. (b) Ein Diebstahl bzw. eine Unterschlagung von 500,00 Euro wäre demnach eine schwerwiegende Pflichtverletzung, auch wenn es sich mit den Worten der Revision aus Sicht einer Bank um einen „überschaubaren Betrag“ handeln mag.

55. bb) Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Beklagte dem Kläger ordnungsgemäß Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben habe. Die von der Revision wegen einer rechtswidrigen Anhörung des Klägers angenommenen Beweisverwertungsverbote bestehen deshalb nicht.

56. (1) Der Ausbildende hat erst dann alles ihm Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhalts getan, wenn er dem Auszubildenden Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Die Notwendigkeit der Anhörung vor Erklärung einer Verdachtskündigung ist Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Die Anhörung soll den Ausbildenden vor voreiligen Entscheidungen bewahren und der Gefahr begegnen, dass ein Unschuldiger von der Kündigung betroffen wird (vgl. zu § 626 Abs. 1 BGB BAG 23. Mai 2013 – 2 AZR 102/12 – Rn. 31). Der Umfang der Nachforschungspflichten und damit auch die Ausgestaltung der Anhörung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. BAG 24. Mai 2012 – 2 AZR 206/11 – Rn. 17; 20. März 2014 – 2 AZR 1037/12 – Rn. 24). Die Anhörung muss sich aber immer auf einen greifbaren Sachverhalt beziehen. Der Auszubildende muss die Möglichkeit haben, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen ggf. zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen aufzuzeigen und so zur Aufhellung der für den Ausbildenden im Dunkeln liegende Geschehnisse beizutragen (vgl. BAG 24. Mai 2012 – 2 AZR 206/11 – Rn. 33).

57. (2) Sowohl bei der Vorbereitung als auch bei der Durchführung der Anhörung hat der Ausbildende auf die typischerweise bestehende Unerfahrenheit des Auszubildenden und die daraus resultierende Gefahr einer Überforderung gemäß § 10 Abs. 2 BBiG iVm. § 241 Abs. 2 BGB Rücksicht zu nehmen. Die Anhörung eines psychisch blockierten Auszubildenden kann ihren Zweck nicht erreichen. Zudem besteht bei einem Auszubildenden eher als bei einem berufserfahrenen Arbeitnehmer das Risiko der Einräumung einer nicht begangenen Tat, um sich damit der Situation zu entziehen. Auch mag ein Auszubildender sensibler auf eine Überzahl an Vertretern des Ausbildungsbetriebs reagieren als ein lebens- und berufserfahrener Arbeitnehmer mit größerem Selbstbewusstsein. Maßgeblich sind jedoch durchweg die Umstände des Einzelfalls. Dabei ist ein objektiver Maßstab aus Sicht eines verständigen Ausbildenden zugrunde zu legen.

58. (3) Hiervon ausgehend ist es entgegen der Revision grundsätzlich nicht erforderlich, den Auszubildenden vor Durchführung einer Anhörung über den beabsichtigten Gesprächsinhalt zu unterrichten.

59. (a) Die Auffassung der Revision, wonach Art. 103 Abs. 1 GG dies im Wege der mittelbaren Drittwirkung verlange, ist unzutreffend. Nach Art. 103 Abs. 1 GG hat jedermann vor Gericht Anspruch auf rechtliches Gehör. Diese Garantie gilt ausschließlich vor Gericht, das heißt bei allen staatlichen Gerichten iSd. Art. 92 GG (BeckOK GG/Radtke/Hagemeier Stand 1. Dezember 2014 GG Art. 103 Rn. 3; Kunig in v. Münch/Kunig GG 6. Aufl. Art. 103 Rn. 4; Nolte in v. Mangoldt/Klein/Starck GG 6. Aufl. Art. 103 Abs. 1 Rn. 16; aA Lembke RdA 2013, 82, 85).

60. (b) In Rechtsprechung und Literatur wird die Themenbekanntgabe vor der Anhörung gefordert (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 16. Dezember 2010 – 2 Sa 2022/10 – Rn. 31; HaKo/Gieseler 4. Aufl. § 626 BGB Rn. 52; Lange/Vogel DB 2010, 1066, 1069; Klenter AiB 2012, 616, 619; vgl. auch Sasse/Freihube ArbRB 2006, 15, 16). Hierfür spricht, dass eine solche Information dem Arbeitnehmer bzw. Auszubildenden die inhaltliche und „mentale“ Vorbereitung auf das Gespräch ermöglicht (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 30. März 2012 – 10 Sa 2272/11 – Rn. 75; Eylert NZA-RR 2014, 393, 402; BeckOK BGB/Fuchs Stand 1. November 2014 BGB § 626 Rn. 43). Der Betroffene wird dadurch in die Lage versetzt, schon im Vorfeld der Anhörung zu entscheiden, ob er sich einlassen will oder nicht (Fischer BB 2003, 522, 523; Eylert/Friedrichs DB 2007, 2203, 2205). Bei umfangreichen und komplexen Sachverhalten ermöglicht eine entsprechende Vorbereitung eine substantiierte Einlassung in der Anhörung (vgl. Lücke BB 1998, 2259, 2261). Auch wird dem Arbeitnehmer Gelegenheit gegeben, sich schon vor der persönlichen Konfrontation mit Verdachtsmomenten an den Betriebsrat zu wenden oder sich Rat bei einem Rechtsanwalt einzuholen. Im Falle der Anhörung eines Auszubildenden kommt die mögliche Einschaltung der Jugend- und Auszubildendenvertretung hinzu.

61. (c) Andererseits besteht jedoch in Fällen des begründeten Verdachts die Gefahr einer Verdunkelung der Tat (Lembke RdA 2013, 82, 88; Dzida NZA 2013, 412, 415; Eylert/Friedrichs DB 2007, 2203, 2205; Gaul/Schmidt-Lauber ArbRB 2012, 18, 19; Lücke BB 1998, 2259, 2261), welcher nicht immer mit Mitteln der Beweissicherung zu begegnen sein wird (so aber wohl Lange/Vogel DB 2010, 1066, 1069). Zudem wird dem Anzuhörenden die Gelegenheit entzogen, sich möglichst unbefangen mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen und möglicherweise schon mit seiner spontanen Reaktion eine Entlastung herbeizuführen (BAG 24. Mai 2012 – 2 AZR 206/11 – Rn. 35).

62. (d) Eine Mitteilung des beabsichtigten Gesprächsthemas ist gegenüber dem Auszubildenden deshalb grundsätzlich nicht erforderlich (ebenso zur Anhörung eines Arbeitnehmers ErfK/Müller-Glöge 15. Aufl. § 626 BGB Rn. 178b). Die Revision weist allerdings zutreffend darauf hin, dass die Gesprächssituation den Auszubildenden erkennbar überfordern kann, sei es in psychischer Hinsicht oder wegen der Komplexität des Sachverhalts. Es entspricht dann der Rücksichtnahmepflicht des Ausbildenden, das Gespräch von sich aus oder auf Wunsch des Auszubildenden abzubrechen und eine erneute Anhörung anzuberaumen, wenn der Auszubildende grundsätzlich zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Verdachtsmomenten bereit ist. Damit erhält der Auszubildende die ggf. erforderliche Vorbereitungszeit (vgl. Dzida NZA 2013, 412, 414; ders. NZA 2014, 809, 814). Diese muss abhängig von den Umständen des Einzelfalls eine angemessene Dauer aufweisen (vgl. KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 230). Die Unterbrechung der Anhörung ist auch geboten, wenn der Auszubildende die Beratung mit einer Vertrauensperson verlangt. Der Ausbildende ist jedoch nicht verpflichtet, den Auszubildenden auf die Möglichkeit der Kontaktierung eines Rechtsanwalts hinzuweisen (vgl. Lange/Vogel DB 2010, 1066, 1069; Eylert/Friedrichs DB 2007, 2203, 2205; Lembke RdA 2013, 82, 89; Hunold Anm. NZA-RR 2010, 184). Dies gilt auch bezüglich sonstiger Vertrauenspersonen.

63. (4) Die Beklagte war demnach nicht verpflichtet, den Kläger vor der Anhörung am 21. Juli 2011 über den beabsichtigten Inhalt dieses Gesprächs zu informieren. Von einem 21-jährigen Auszubildenden darf ohnehin erwartet werden, dass er sich zu einem Kassenfehlbestand äußern kann und sei es auch nur mit der Aussage, dass er ihm nicht erklärlich sei. Für die Beklagte war eine Überforderung des Klägers während der Anhörung nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts objektiv nicht erkennbar. Der Kläger hat zur Frage der Kassendifferenz Stellung genommen, ohne einen Abbruch des Gesprächs zu verlangen.

64. (5) Die Durchführung der Anhörung ist auch im Übrigen nicht zu beanstanden.

65. (a) Die Beklagte musste den Kläger nicht weiter über ihren Kenntnisstand bezüglich der Geschehnisse am 20. Juni 2011 in der Filiale G unterrichten oder den Kläger mit einem Bericht der Revisionsabteilung konfrontieren. Es war ausreichend, ihm mitzuteilen, dass an dem bestimmten Tag in der bestimmten Filiale ein Fehlbetrag zu verzeichnen war, und ihn zu fragen, ob er sich dies erklären könne. Dies war der maßgebliche Sachverhalt.

66. (b) Soweit der Kläger im Revisionsverfahren erstmals vorbringt, dass er durch weitere Recherchen in Erfahrung gebracht habe, dass sich der Fehlbetrag entgegen der Darstellung der Beklagtenvertreter in der Anhörung nicht nur auf die von ihm gezählten Gelder aus dem Nachttresor, sondern auch auf von ihm nicht gezähltes Geld aus dem Tresor und dem Schalterbereich beziehe, handelt es sich zum einen um neues Tatsachenvorbringen, welches in der Revisionsinstanz nicht mehr zulässig ist. Zum anderen würde die Vermengung der beiden Geldmengen nichts an dem Fehlbetrag und an der Begründung des Verdachts durch die klägerseitige Nennung der genauen Summe ändern.

67. (c) Die Anhörung erweist sich auch nicht als fehlerhaft, weil dem Kläger keine Gelegenheit zur Beiziehung eines Rechtsanwalts oder einer sonstigen Vertrauensperson gegeben wurde. Eine solche Beteiligung hat der Kläger nicht verlangt. Er kann daher mit der Revision auch nicht einwenden, dass ihm ein nahestehender Zeuge für den Gesprächsverlauf fehle.

68. (6) Entgegen der Revision handelt es sich bei der Anhörung nicht um eine nach § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG unzulässige Datenerhebung. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift ist hier nicht eröffnet.

69. (a) Die gesetzlichen Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung im Bundesdatenschutzgesetz konkretisieren und aktualisieren den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung des durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts und regeln, in welchem Umfang im Anwendungsbereich des Gesetzes Eingriffe in dieses Recht zulässig sind (vgl. für das Datenschutzgesetz NRW BAG 15. November 2012 – 6 AZR 339/11 – Rn. 16, BAGE 143, 343). Dies stellt § 1 Abs. 1 BDSG ausdrücklich klar. Liegt keine Einwilligung des Betroffenen vor, ist die Datenverarbeitung nach dem Gesamtkonzept des Bundesdatenschutzgesetzes nur zulässig, wenn eine verfassungsgemäße Rechtsvorschrift diese erlaubt. Fehlt es an der danach erforderlichen Ermächtigungsgrundlage oder liegen deren Voraussetzungen nicht vor, ist die Erhebung, Verarbeitung und/oder Nutzung personenbezogener Daten verboten. Dieser das deutsche Datenschutzrecht prägende Grundsatz ist in § 4 Abs. 1 BDSG kodifiziert (BAG 20. Juni 2013 – 2 AZR 546/12 – Rn. 22, BAGE 145, 278).

70. (b) Gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach dessen Begründung für seine Durchführung oder Beendigung erforderlich ist. Auch Auszubildende sind gemäß § 3 Abs. 11 Nr. 2 BDSG Beschäftigte. Nach § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG dürfen zur Aufdeckung von Straftaten personenbezogene Daten eines Beschäftigten nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten an dem Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind.

71. (c) Bei der zur Aufklärung von Verdachtsmomenten vorgenommenen Anhörung eines Arbeitnehmers bzw. Auszubildenden handelt es sich um eine Datenerhebung iSv. § 32 Abs. 1 BDSG.

72. (aa) Nach der Begriffsbestimmung in § 3 Abs. 1 BDSG sind personenbezogene Daten Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person. Persönliche und sachliche Verhältnisse sind Informationen über die Person des Betroffenen oder über einen auf diesen bezogenen Sachverhalt (Weichert in Däubler/Klebe/Wedde/Weichert BDSG 4. Aufl. § 3 Rn. 19; Gola/Schomerus BDSG 11. Aufl. § 3 Rn. 6, 7). Die Anhörung bezieht sich auf eine bestimmte Person und deren Angaben zu einem Sachverhalt, der wegen des Aufklärungszwecks sie selbst betrifft. Die Angaben werden über die betroffene Person iSd. § 3 Abs. 3 BDSG beschafft und damit erhoben.

73. (bb) § 32 BDSG setzt nicht voraus, dass die Datenerhebung zum Zwecke ihrer Nutzung und Verarbeitung in automatisierten Dateien erfolgt. Durch § 32 Abs. 2 BDSG wird die grundsätzliche Beschränkung der Anwendung des dritten Abschnitts des Bundesdatenschutzgesetzes auf dateigebundene bzw. automatisierte Verarbeitungen (§ 1 Abs. 2 Nr. 3, § 27 Abs. 1 BDSG) ausdrücklich aufgehoben. Die Vorschrift erfasst damit sowohl nach ihrem Wortlaut als auch nach ihrem Regelungsgehalt die Datenerhebung durch rein tatsächliche Handlungen (BAG 20. Juni 2013 – 2 AZR 546/12 – Rn. 24, BAGE 145, 278). Damit sind auch Befragungen eines Beschäftigten erfasst (ErfK/Franzen 15. Aufl. § 32 BDSG Rn. 2; Stamer/Kuhnke in Plath BDSG § 32 Rn. 7; Riesenhuber NZA 2012, 771, 774).

74. (d) Entgegen der Ansicht der Revision ist die Anhörung des Klägers am 21. Juli 2011 nicht unter Verletzung des § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG erfolgt. Zwar stellt sie eine Datenerhebung dar, welche zur Aufdeckung einer Straftat vorgenommen wurde. Die Beklagte hat auch nicht behauptet, dass tatsächliche Anhaltspunkte dokumentiert wurden, die den Verdacht gegen den Kläger im Vorfeld der Anhörung begründet und seine Anhörung veranlasst hätten. Die Anhörung ist aber keine Überwachungsmaßnahme. § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG bezieht sich nicht auf jede Aufklärungshandlung, sondern nur auf Kontroll- bzw. Überwachungsmaßnahmen zur Aufdeckung einer Straftat.

75. (aa) Nach der Gesetzesbegründung sollte die Regelung des § 32 BDSG die bislang von der Rechtsprechung erarbeiteten Grundsätze des Datenschutzes im Beschäftigungsverhältnis nicht ändern, sondern lediglich zusammenfassen (BAG 21. November 2013 – 2 AZR 797/11 – Rn. 52, BAGE 146, 303; 20. Juni 2013 – 2 AZR 546/12 – Rn. 26, BAGE 145, 278; vgl. auch Gola/Schomerus BDSG 11. Aufl. § 32 Rn. 2; HWK/Lembke 6. Aufl. § 32 BDSG Rn. 2; Seifert in Simitis BDSG 8. Aufl. § 32 Rn. 1). § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG orientiert sich im Wortlaut an § 100 Abs. 3 Satz 1 TKG und inhaltlich an den Anforderungen, die das Bundesarbeitsgericht ua. in seinem Urteil vom 27. März 2003 (- 2 AZR 51/02 – BAGE 105, 356) zur verdeckten Überwachung von Beschäftigten aufgestellt hat (BT-Drs. 16/13657 S. 21). Der Tatbestand des § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG ist daher auf diese oder vergleichbare Fälle von Kontrollmaßnahmen zu beschränken (ErfK/Franzen 15. Aufl. § 32 BDSG Rn. 31). Der Gesetzgeber ging davon aus, dass Maßnahmen zur Aufdeckung einer Straftat in der Regel besonders intensiv in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingreifen (BT-Drs. 16/13657 S. 21). Dies ist bei (verdeckter) Überwachung von Beschäftigten der Fall, weshalb die – von der Gesetzesbegründung in Bezug genommenen – restriktiven Grundsätze der hierzu ergangenen Rechtsprechung mit § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG kodifiziert wurden. Die Vorschrift soll hinsichtlich der Eingriffsintensität vergleichbare Maßnahmen erfassen (vgl. Taeger/Gabel/Zöll § 32 BDSG Rn. 41). Die Gesetzesbegründung lässt umgekehrt darauf schließen, dass die erhöhten datenschutzrechtlichen Anforderungen des § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG bei weniger belastenden Aufklärungsmaßnahmen, durch welche die Beschäftigten weder kontrolliert noch überwacht werden, keine Geltung beanspruchen sollen.

76. (bb) Demnach unterfällt die Anhörung eines Beschäftigten nicht den Anforderungen des § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG (aA wohl Lembke RdA 2013, 82, 87; ders. in HWK 6. Aufl. § 32 BDSG Rn. 21). Die Anhörung ist weder Kontrolle noch Überwachung. Der Beschäftigte wird in offener Weise mit Verdachtsmomenten konfrontiert und erhält die Gelegenheit zu deren Entkräftung. Er kann sich der Anhörung – im Gegensatz zu einer Überwachungsmaßnahme – entziehen, indem er eine Einlassung verweigert. Dementsprechend hat die Rechtsprechung auch keinen einer Überwachungsmaßnahme vergleichbaren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht erkannt. Die in § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG vorgesehenen Anforderungen sind daher nicht veranlasst. Wie dargelegt wollte der Gesetzgeber mit § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG nur Aufklärungsmaßnahmen erfassen, die wegen der Intensität des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht solch erhöhte Anforderungen verlangen.

77. (cc) Die Anhörung des Klägers musste auch nicht nach § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG dokumentiert werden. Im Rahmen der Anhörung entstand zwar die verdachtsbegründende Tatsache der Offenbarung von Täterwissen. Die Beklagte nahm aber nach der Anhörung deswegen keine weiteren Überwachungsmaßnahmen vor. Die Ermittlungen gegen den Kläger waren mit der Anhörung abgeschlossen.

78. (7) Die Anhörung des Klägers war gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG zulässig. Die damit verbundene Datenerhebung und -nutzung erfolgte für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses und war für die Entscheidung über dessen weitere Durchführung oder Beendigung erforderlich. Die Erforderlichkeit ergibt sich schon aus den Vorgaben der Rechtsprechung zur Wirksamkeit einer etwaigen Verdachtskündigung.

79. (8) Es kann hier unentschieden bleiben, ob § 32 Abs. 1 BDSG auch § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BDSG verdrängt (vgl. zum Streitstand BeckOK DatenSR/Riesenhuber Stand 1. November 2014 BDSG § 32 Rn. 25 f.). Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BDSG sind erfüllt. Das berechtigte Interesse der Beklagten folgt aus ihrer Verpflichtung zur Durchführung einer Anhörung im Rahmen der gebotenen Aufklärungsbemühungen. Das Interesse des Klägers an dem Ausschluss der Verarbeitung oder Nutzung der durch die Anhörung gewonnenen Daten überwiegt demgegenüber nicht. Die Durchführung der Anhörung diente ursprünglich gerade seinem Interesse an einer Stellungnahme, welche die Möglichkeit zur Klärung des Sachverhalts in seinem Sinne gab. Der Umstand, dass sich erst durch die Anhörung der kündigungsbegründende Tatverdacht ergab, ändert daran nichts. Das Interesse des Klägers an der Nichtverwertung der belastenden Aussagen ist nicht schutzwürdig. Anderenfalls könnten nur entlastende Erkenntnisgewinne iSd. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BDSG genutzt werden, während verdachtsbegründende oder -verstärkende Umstände unberücksichtigt bleiben müssten.

80. (9) Offenbleiben kann auch, ob § 28 Abs. 1 Satz 2 BDSG neben § 32 Abs. 1 BDSG zur Anwendung kommt. Dies wird trotz der eindeutigen Gesetzesbegründung, wonach § 28 Abs. 1 Satz 2 BDSG verdrängt wird (BT-Drs. 16/13657 S. 20), wegen der damit verbundenen und gesetzlich nicht beabsichtigten Absenkung des Schutzniveaus vertreten (vgl. Däubler in Däubler/Klebe/Wedde/Weichert BDSG 4. Aufl. § 32 Rn. 9; Thüsing NZA 2009, 865; ErfK/Franzen 15. Aufl. § 28 BDSG Rn. 4). Im vorliegenden Fall diente die Anhörung nach der unbestrittenen Darstellung der Beklagten der Aufklärung des Sachverhalts, indem der Kläger zu der Kassendifferenz befragt wurde. Damit wurde der Zweck festgelegt. Anderes behauptet auch der Kläger nicht. Eine schriftliche Festlegung des Zwecks verlangt § 28 Abs. 1 Satz 2 BDSG nicht (Plath in Plath BDSG § 28 Rn. 90; Simitis in Simitis BDSG 8. Aufl. § 28 Rn. 43; Taeger/Gabel/Taeger § 28 BDSG Rn. 111). Eine generelle Verpflichtung zur schriftlichen Fixierung der Zweckfestlegung lässt sich auch der allgemeinen Vorschrift des § 9 BDSG nicht entnehmen (aA jedenfalls bei Anwendbarkeit der Anlage zu § 9 Satz 1 BDSG Gola/Schomerus BDSG 11. Aufl. § 28 Rn. 35). Eine schriftliche Dokumentation der mit einer Anhörung verbundenen Zwecksetzung wäre iSd. § 9 BDSG nicht erforderlich, da der Aufklärungszweck evident ist. Die Unterrichtungspflicht nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BDSG kann auch ohne eine solche schriftliche Dokumentation erfüllt werden.

81. (10) Soweit der Kläger in der Verhandlung vor dem Senat einen Verstoß gegen § 4 Abs. 3 BDSG wegen der fehlenden Themenbekanntgabe vor der Anhörung behauptet hat, greift diese Rüge nicht durch. Etwaige Unterrichtungs- und Hinweispflichten nach § 4 Abs. 3 BDSG müssen nur vor der Datenerhebung erfüllt werden (BeckOK DatenSR/Bäcker Stand 1. November 2014 BDSG § 4 Rn. 76). Dies kann auch unmittelbar vor der Anhörung erfolgen. Weder der im Revisionsverfahren verwertbare Tatsachenvortrag des Klägers noch die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts lassen auf entsprechende Pflichtverletzungen schließen.

82. (11) Die Anhörung des Klägers hat folglich weder datenschutzrechtliche Vorgaben noch in sonstiger Weise das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers verletzt. Ein auf die Erkenntnisse der Anhörung bezogenes prozessuales Beweisverwertungsverbot (vgl. hierzu BAG 21. November 2013 – 2 AZR 797/11 – Rn. 48 f., BAGE 146, 303) besteht daher nicht.

83. (12) Nach der Begründung des Verdachts im Verlauf des Gesprächs am 21. Juli 2011 war entgegen der Ansicht der Revision keine erneute Anhörung erforderlich. Die Verdachtsbegründung war mit der Nennung des Fehlbetrags durch den Kläger abgeschlossen. Der Kläger war am 21. Juli 2011 sogleich damit konfrontiert worden. Weiter gehende Ermittlungen, die neue verdachtsbegründende Tatsachen ergeben hätten, wurden von der Beklagten nicht durchgeführt (vgl. zu einem solchen Fall BAG 13. September 1995 – 2 AZR 587/94 – zu II 4 a der Gründe, BAGE 81, 27). Dies gilt auch, wenn die Beklagte sich erst nach der Anhörung des Klägers mit Herrn S am 21. Juli 2011 in Verbindung gesetzt haben sollte. Die Stellungnahme von Herrn S mit seiner E-Mail vom selben Tag hat keine neuen Erkenntnisse gebracht, welche eine erneute Anhörung erforderlich gemacht hätten. Herr S hat lediglich angeführt, dass der Kläger auch die Bündelung vorgenommen habe. Wie dargestellt, ist dies jedoch wegen der Verdachtsbegründung aufgrund der Nennung des Fehlbetrags nicht ausschlaggebend.

84. cc) Schließlich ist auch die durch das Landesarbeitsgericht bei der Prüfung der Zumutbarkeit der Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses vorgenommene Interessenabwägung nicht zu beanstanden.

85. (1) Das Landesarbeitsgericht hat die mit dem Verlust des Ausbildungsplatzes verbundenen erheblichen Nachteile für die künftige berufliche Entwicklung des Klägers ebenso wie die im Herbst 2011 erfolgreich abgelegte Zwischenprüfung berücksichtigt. Es hat zugunsten des Klägers angeführt, dass er kurz vor Vollendung seines ersten Ausbildungsjahres stand, obwohl diese relativ kurze Dauer des Ausbildungsverhältnisses eher zu seinen Lasten hätte gewertet werden können. Ferner hat das Landesarbeitsgericht die fehlende Einhaltung der Kontrollvorschriften („Vier-Augen-Prinzip“) berücksichtigt.

86. (2) Es überschreitet den tatrichterlichen Beurteilungsspielraum nicht, wenn es dennoch zu der Überzeugung gelangt ist, dass die Interessen der Beklagten an der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses wegen des irreparablen, dh. auch durch eine Abmahnung nicht mehr auszugleichenden, Vertrauensverlustes überwiegen.

87. (a) Dabei hat das Landesarbeitsgericht den Kontakt des Klägers mit hohen Geldbeträgen angeführt. Die Beklagte könne nicht darauf verwiesen werden, den Kläger künftig in gesteigertem Maße zu überwachen. Dies ist nachvollziehbar, denn eine solche Kontrolldichte würde angesichts der Zugriffsmöglichkeiten auf Bargeld in einem Bankbetrieb eine unverhältnismäßige Belastung darstellen. Gelegenheiten des Diebstahls oder der Unterschlagung können bei entsprechendem Willen eines Beschäftigten potentiell auch bei der von der Revision angemahnten konsequenten Umsetzung von Anforderungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht an das Risikomanagement und Vorgaben der berufsgenossenschaftlichen Vorschriften (UVV Kassen) geschaffen werden.

88. (b) Nicht zu beanstanden ist auch das Abstellen auf die Fehltage in der Berufsschule am 11. Februar 2011 und 30. März 2011. Hierdurch hat der Kläger seine Verpflichtung aus § 13 Satz 2 Nr. 2 iVm. § 15 Satz 1 BBiG verletzt und damit das Ausbildungsverhältnis belastet. Dies steht entgegen der Revision nicht im Widerspruch zu der erfolgreich abgelegten Zwischenprüfung. Diese bezieht sich auf die fachlichen Inhalte der Ausbildung und nicht auf das Verhalten im Ausbildungsverhältnis.

89. (c) Das Landesarbeitsgericht hat ferner in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise auf die „Spielproblematik“ abgestellt. Der Revision ist insoweit zwar zuzugestehen, dass mangels Feststellung einer Spielsucht ein Rückschluss auf das künftige Verhalten des Klägers insoweit schwierig ist. Das Landesarbeitsgericht durfte allerdings auf die unstreitigen Therapiestunden bei der Caritas und auf die spielbedingten Fehlzeiten im Berufsschulunterricht hinweisen. Vor diesem Hintergrund musste das Landesarbeitsgericht keinen unbeanstandeten Verlauf des Ausbildungsverhältnisses hervorheben.

90. 3. Die nach § 22 Abs. 3 BBiG zu wahrenden Formerfordernisse wurden beachtet. Die Kündigung erfolgte schriftlich und gab den Kündigungsgrund an.

91. a) Nach § 22 Abs. 3 BBiG muss die Kündigung schriftlich und in den Fällen des § 22 Abs. 2 BBiG unter Angabe der Kündigungsgründe erfolgen. Der Kündigende muss dabei die Tatsachen mitteilen, die für die Kündigung maßgebend sind (vgl. zu § 15 Abs. 3 BBiG aF BAG 25. November 1976 – 2 AZR 751/75 – zu A III 1 a der Gründe). Pauschale Schlagworte und Werturteile genügen nicht (BAG 10. Februar 1999 – 2 AZR 176/98 – zu II 1 der Gründe). Der Ausbildende darf sich im Kündigungsschutzprozess nicht auf Gründe stützen, die er im Kündigungsschreiben nicht genannt hat (vgl. ErfK/Schlachter 15. Aufl. § 22 BBiG Rn. 7).

92. b) Diesen Anforderungen genügt das Kündigungsschreiben vom 22. Juli 2011. Dort wird sowohl der Kassenfehlbestand als auch die Begründung des Verdachts gegen den Kläger mitgeteilt. Es bleibt nicht unklar, auf welche Pflichtverletzung sich der Verdacht richtet. Die Beklagte hat deutlich gemacht, dass sie den Kläger verdächtigt, sich den Fehlbestand iHv. 500,00 Euro „angeeignet zu haben“. Deutlich wird auch, dass die Beklagte die für die Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses „unverzichtbare Vertrauensbasis“ als nicht mehr gegeben und nicht wiederherstellbar ansieht. Die Beklagte offenbart auch ihre Annahme einer Spielsucht des Klägers aufgrund der Aussagen des Klägers in dem Gespräch am 21. Juli 2011. Damit begründet sie die aus ihrer Sicht bestehende Unzumutbarkeit der Fortsetzung der Ausbildung. Soweit in dem Kündigungsschreiben weitere Pflichtverstöße angeführt werden (Fehlzeiten im Berufsschulunterricht; Arbeit in einer Gießerei während des Erholungsurlaubs), wird deutlich, dass die Beklagte das Ausbildungsverhältnis insgesamt als belastet ansieht. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Vertragsverstöße für sich genommen das Gewicht eines Kündigungsgrundes zum Ausdruck bringen. Die Beklagte hat sich im Prozess als Kündigungsgrund nur auf den – mitgeteilten – Verdacht eines Vermögensdelikts berufen.

93. 4. Die Kündigung erfolgte auch unter Wahrung der Frist des § 22 Abs. 4 Satz 1 BBiG.

94. a) Nach § 22 Abs. 4 Satz 1 BBiG ist eine Kündigung aus wichtigem Grund unwirksam, wenn die ihr zugrunde liegenden Tatsachen dem zur Kündigung Berechtigten länger als zwei Wochen bekannt sind. Die Vorschrift entspricht nach Inhalt und Zweck § 626 Abs. 2 BGB. Dementsprechend beginnt auch die Frist des § 22 Abs. 4 Satz 1 BBiG mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Ausbildungsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen eine Kündigung sprechenden Umstände. Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist zu laufen begänne. Dies gilt allerdings nur so lange, wie er aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschaffen sollen. Soll der Kündigungsgegner angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen. Bei Vorliegen besonderer Umstände darf sie auch überschritten werden (vgl. BAG 20. März 2014 – 2 AZR 1037/12 – Rn. 14 mwN; 27. Januar 2011 – 2 AZR 825/09 – Rn. 15, BAGE 137, 54).

95. b) Demnach hatte die Beklagte von den der Kündigung zugrunde liegenden Tatsachen zum Zeitpunkt ihres Zugangs am 25. Juli 2011 nicht länger als zwei Wochen Kenntnis. Sie wusste zwar bereits seit dem 28. Juni 2011 von dem Kassenfehlbestand in G. Die Begründung des der Kündigung zugrunde liegenden Verdachts gegen den Kläger erfolgte jedoch erst in dessen Anhörung am 21. Juli 2011. Die Beklagte betrieb die Sachverhaltsaufklärung mit der gebotenen Eile, auch wenn die Anhörung nicht innerhalb einer Woche ab Kenntnis von der Kassendifferenz stattfand. Eine schriftliche Aufforderung zur Stellungnahme war nicht veranlasst. Durch die Anberaumung des Gesprächstermins zunächst auf den 30. Juni 2011 und dann auf den 4. Juli 2011 versuchte die Beklagte eine zeitnahe Anhörung durchzuführen. Am 30. Juni 2011 war der Kläger jedoch aus persönlichen Gründen verhindert. Den Termin am 4. Juli 2011 sagte er wegen einer angeblichen Flugreise ab. Nach dem Urlaubsende hat die Beklagte die Anhörung sodann zügig durchgeführt. Sie fand noch in der ersten Woche nach dem Urlaub statt. Nach der Verdachtsbegründung am 21. Juli 2011 hat die Beklagte die Kündigung innerhalb von zwei Wochen, nämlich bereits am 25. Juli 2011, erklärt.

96. 5. Die Kündigung ist auch nicht mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.

97. a) Will der Arbeitgeber seine Kündigung auf den dringenden Verdacht einer erheblichen Pflichtverletzung stützen, muss er dies dem Betriebsrat mitteilen und die Umstände angeben, aus denen sich der konkrete Verdacht ergeben soll (BAG 23. April 2008 – 2 ABR 71/07 – Rn. 24). Nach dem Grundsatz der subjektiven Determination ist der Betriebsrat dabei ordnungsgemäß angehört, wenn der Arbeitgeber ihm die Gründe mitgeteilt hat, die nach seiner subjektiven Sicht die Kündigung rechtfertigen und die für seinen Kündigungsentschluss maßgeblich sind. Diesen Kündigungsentschluss hat er regelmäßig unter Angabe von Tatsachen so zu beschreiben, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe prüfen kann (BAG 12. September 2013 – 6 AZR 121/12 – Rn. 21).

98. b) Bei der Betriebsratsanhörung handelt es sich um eine atypische Willenserklärung, deren Auslegung grundsätzlich Sache der Tatsacheninstanz ist (BAG 22. September 2005 – 6 AZR 607/04 – zu II 4 b bb (1) der Gründe). Die Auslegung atypischer Willenserklärungen durch das Landesarbeitsgericht kann in der Revisionsinstanz nur darauf überprüft werden, ob das Berufungsgericht Auslegungsregeln verletzt hat oder gegen Denk- und Erfahrungssätze verstoßen, wesentliche Tatsachen unberücksichtigt gelassen oder eine gebotene Auslegung unterlassen hat (vgl. BAG 15. April 2014 – 3 AZR 435/12 – Rn. 18; 25. April 2013 – 8 AZR 453/12 – Rn. 23).

99. c) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Anhörung des Betriebsrats mit Schreiben vom 22. Juli 2011 genüge inhaltlich den Anforderungen des § 102 BetrVG, hält den Angriffen der Revision stand.

100. aa) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend auf den Grundsatz der subjektiven Determination abgestellt und ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Schluss gelangt, dass bei Berücksichtigung der Gesamtumstände die beabsichtigte Erklärung einer Verdachtskündigung für den Betriebsrat erkennbar gewesen sei. Dem Betriebsrat wurde der Geschehensablauf aus Sicht der Beklagten und die wesentliche verdachtsbegründende Tatsache (Nennung des Fehlbetrags durch den Kläger) mitgeteilt. Der Formulierung „müssen wir davon ausgehen, dass er die Differenz ‚verursacht‘ hat“, kann mit dem Landesarbeitsgericht die beabsichtigte Erklärung einer Verdachtskündigung entnommen werden. Jedenfalls lässt diese Wortlautinterpretation keine Tatsachen unberücksichtigt und verstößt nicht gegen Denk- und Erfahrungssätze. Durch die Beschreibung der Gesamtumstände wird dem Betriebsrat hinreichend verdeutlicht, dass die Beklagte im Sinne eines Verdachts von einem Vermögensdelikt „ausgeht“. Die Dringlichkeit des Verdachts wird mit „müssen wir“ zum Ausdruck gebracht.

101. bb) Es ist mit dem Landesarbeitsgericht auch nicht ersichtlich, dass die Beklagte den Betriebsrat bewusst falsch über die Verursachung des Fehlbetrags von 50,00 Euro in D und über eine Spielsucht des Klägers informiert hat. Die Beklagte ging hiervon aus. Wegen des Grundsatzes der subjektiven Determinierung der Betriebsratsanhörung ist daher unbeachtlich, ob diese Vorwürfe objektiv gerechtfertigt sind.

102. cc) Der Betriebsrat wurde auch nicht fehlerhaft über den Kündigungsgrund des Verdachts eines Vermögensdelikts unterrichtet, weil in der Anhörung noch weiteres Fehlverhalten des Klägers angeführt wurde (Fehlzeiten in der Berufsschule; Arbeit in der Gießerei während des Erholungsurlaubs). Es handelt sich ersichtlich um eine für die Interessenabwägung bedeutsame Darstellung der aus Sicht der Beklagten bestehenden Belastungen des Ausbildungsverhältnisses.

103. 6. Die Klage ist auch im Übrigen unbegründet. Wegen der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses am 25. Juli 2011 bestand zum Zeitpunkt der beabsichtigten Beendigung durch die ordentliche Kündigung am 30. September 2011 kein Ausbildungsverhältnis mehr. Aus demselben Grund kann der Kläger die eingeklagte Ausbildungsvergütung für die Zeit ab dem 1. August 2011 nicht beanspruchen.

104. III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 26.3.2015, 2 AZR 237/14

Leitsätze

1. Im Fall einer Schwangerschaft aufgrund einer Befruchtung außerhalb des Körpers (In-vitro-Fertilisation) greift das Kündigungsverbot des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG ab dem Zeitpunkt der Einsetzung einer befruchteten Eizelle in die Gebärmutter (Embryonentransfer).

2. Eine außerhalb des Geltungsbereichs des KSchG ausgesprochene Kündigung ist gemäß § 134 BGB iVm. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG nichtig, wenn sie wegen der – beabsichtigten – Durchführung einer In-vitro-Fertilisation und der damit einhergehenden Möglichkeit einer Schwangerschaft erklärt wird.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 7. März 2014 – 3 Sa 502/13 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

2. Die 1975 geborene Klägerin war bei dem Beklagten, der mit insgesamt zwei Arbeitnehmern eine Versicherungsvertretung betreibt, seit Februar 2012 als Büroleiterin beschäftigt. Der Beklagte äußerte sich regelmäßig positiv über die Arbeitsleistung der Klägerin. Verwarnungen oder Abmahnungen erteilte er ihr nicht.

3. Am 14. oder 15. Januar 2013 eröffnete die Klägerin dem Beklagten in einem persönlichen Gespräch, dass sie seit mehreren Jahren einen bisher unerfüllten Kinderwunsch hege und ein erneuter Versuch einer künstlichen Befruchtung anstehe.

4. Mit Schreiben vom 31. Januar 2013, der Klägerin am selben Tag zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 1. März 2013 und stellte die Klägerin von der Arbeitsleistung frei. In der Folge besetzte er ihre Stelle mit einer älteren Arbeitnehmerin.

5. Am 7. Februar 2013 wurde bei der Klägerin eine Frühschwangerschaft festgestellt. Unter dem 13. Februar 2013 teilte sie dies dem Beklagten mit. Der Mutterpass der Klägerin und ein ärztliches Schreiben vom 16. Mai 2013 benennen als Datum des sog. Embryonentransfers im Rahmen einer künstlichen Befruchtung den 24. Januar 2013. Am 1. Oktober 2013 wurde die Tochter der Klägerin geboren.

6. Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin sich rechtzeitig gegen die Kündigung gewandt. Sie hat vorgebracht, bei deren Zugang sei sie bereits schwanger gewesen. Zudem stelle die Kündigung eine Diskriminierung wegen ihres Geschlechts dar. Sie sei wegen ihrer Ankündigung, sich künstlich befruchten zu lassen, erklärt worden.

7. Die Klägerin hat beantragt festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 31. Januar 2013 nicht aufgelöst worden ist.

8. Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat gemeint, die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass sie bei Zugang der Kündigung bereits schwanger gewesen sei. Die von ihr vorgelegten Bescheinigungen seien widersprüchlich. Ihnen könne nicht entnommen werden, dass der Embryonentransfer am 24. Januar 2013 stattgefunden habe. Im Übrigen komme es für den Beginn der Schwangerschaft auf den Zeitpunkt der Einnistung an. Die Kündigung habe er allein deshalb erklärt, weil er mit der Arbeitsleistung der Klägerin nicht zufrieden gewesen sei.

9. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit seiner Revision begehrt der Beklagte weiterhin deren Abweisung.

Entscheidungsgründe

10. Die Revision ist unbegründet. Die Kündigung ist gemäß § 134 BGB unwirksam. Sie verstößt sowohl gegen § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG (A.) als auch gegen § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG (B.).

11. A. Die Klägerin genoss bei Zugang der Kündigung den besonderen Schutz aus § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG.

12. I. Nach dieser Vorschrift ist eine ohne behördliche Zustimmung (dazu § 9 Abs. 3 MuSchG) ausgesprochene Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft bekannt war oder sie ihm innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird.

13. II. Zwischen den Parteien bestand ein Arbeitsverhältnis gemäß § 1 Nr. 1 MuSchG. Die Klägerin hat dem Beklagten die Schwangerschaft jedenfalls binnen zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt. Eine behördliche Zustimmung lag nicht vor.

14. III. Die Klägerin war bei Zugang der Kündigung schwanger. Im Fall einer Schwangerschaft aufgrund einer Befruchtung außerhalb des Körpers (In-vitro-Fertilisation) beginnt der besondere Kündigungsschutz mit der Einsetzung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter (Embryonentransfer) und nicht erst mit ihrer Einnistung (Nidation).

15. 1. In der Humanmedizin bezeichnet Schwangerschaft den Zustand der Frau von der Konzeption (dh. von dem zur Befruchtung führenden Verkehr) bis zur Geburt (vgl. Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 265. Aufl. „Konzeption“ und „Schwangerschaft“). Die Schwangerschaftsdauer wird entweder post menstruationem (dh. vom ersten Tag der letzten Menstruation bis zum Tag der Geburt) mit durchschnittlich 280 Tagen oder post conceptionem (dh. von der Konzeption bis zum Tag der Geburt) mit durchschnittlich 263 bis 273 Tagen berechnet (Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 265. Aufl. „Schwangerschaftsdauer“). Die Berechnung hängt unter anderem davon ab, ob auf den körperlichen Zustand der Frau oder auf den Beginn des Lebens abgestellt wird (Reiner EuZA 2009, 79).

16. 2. Bei natürlicher Empfängnis wird der Beginn des Kündigungsverbots aus § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG in entsprechender Anwendung von § 5 Abs. 2 Satz 1 MuSchG in der Weise bestimmt, dass von dem ärztlich festgestellten mutmaßlichen Tag der Entbindung um 280 Tage zurückgerechnet wird (st. Rspr., vgl. BAG 12. Mai 2011 – 2 AZR 384/10 – Rn. 33; 7. Mai 1998 – 2 AZR 417/97 – zu II 1 der Gründe, BAGE 88, 357). Dieser Zeitraum umfasst die mittlere Schwangerschaftsdauer, die bei einem durchschnittlichen Menstruationszyklus zehn Lunarmonate zu je 28 Tagen – gerechnet vom ersten Tag der letzten Regelblutung an – beträgt. Er markiert die äußerste zeitliche Grenze, innerhalb derer bei normalem Zyklus eine Schwangerschaft vorliegen kann. Damit werden auch Tage einbezogen, in denen das Vorliegen einer Schwangerschaft eher unwahrscheinlich ist.

17. Entgegen kritischen Stimmen in der Literatur (vgl. KR/Bader/Gallner 10. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 64b mwN) lässt der Senat dabei nicht einen Anscheinsbeweis zugunsten der Arbeitnehmerin eingreifen. Vielmehr verzichtet er bewusst auf eine Wahrscheinlichkeitsrechnung, um zu gewährleisten, dass jede tatsächlich Schwangere den Schutz des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG in Anspruch nehmen kann. Da sich – sofern nicht ausnahmsweise der Tag der Konzeption zweifelsfrei feststeht – Fehler und Ungenauigkeiten nicht vermeiden lassen, ist es gerechtfertigt, zunächst von der der Arbeitnehmerin günstigsten Berechnungsmethode auszugehen. Der Arbeitgeber kann den Beweiswert einer ärztlichen Bescheinigung über den mutmaßlichen Entbindungstermin erschüttern, indem er Umstände darlegt und beweist, aufgrund derer es wissenschaftlich gesicherter Erkenntnis widerspräche, vom Beginn der Schwangerschaft vor Kündigungszugang auszugehen. Die Arbeitnehmerin muss dann weiteren Beweis führen und ist gegebenenfalls gehalten, ihre Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden (BAG 7. Mai 1998 – 2 AZR 417/97 – zu II 3 c der Gründe, BAGE 88, 357). Werden im Verlauf der Schwangerschaft genauere Erkenntnisse über den Zeitpunkt ihres Beginns gewonnen, kann zudem eine korrigierte Bescheinigung erstellt werden (BAG 27. Oktober 1983 – 2 AZR 566/82 – zu A II 2 c dd der Gründe).

18. 3. Bei einer Schwangerschaft aufgrund einer In-vitro-Fertilisation beginnt der besondere Kündigungsschutz mit dem Embryonentransfer. Es kann weder die 280-Tages-Regel zur Anwendung gelangen, noch entscheidet der Zeitpunkt der Nidation.

19. a) Die In-vitro-Fertilisation ist eine Methode der künstlichen Befruchtung, bei der entnommene Eizellen mit präparierten Spermien befruchtet und die Embryos anschließend in den Uterus der Frau transferiert werden (Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 265. Aufl. „In-vitro-Fertilisation“). Der Vorgang läuft in mehreren Schritten ab, darunter die hormonelle Stimulation der Eierstöcke mit dem Ziel, mehrere Eizellen gleichzeitig zur Reifung zu bringen, die Follikelpunktion, die Entnahme der Eizellen, die Befruchtung einer oder mehrerer Eizellen mit aufbereiteten Spermien, die Einsetzung der befruchteten Eizelle oder Eizellen in die Gebärmutter und die Einnistung (vgl. EuGH 26. Februar 2008 – C-506/06 – [Mayr] Rn. 30, Slg. 2008, I-1017).

20. b) Aus Gründen der Rechtssicherheit kann eine Schwangerschaft bei Durchführung einer In-vitro-Fertilisation frühestens im Zeitpunkt des Embryonentransfers und nicht bereits mit Befruchtung der Eizelle außerhalb des Körpers der Frau beginnen (EuGH 26. Februar 2008 – C-506/06 – [Mayr] Rn. 41, Slg. 2008, I-1017). Da das „Einfrieren“ befruchteter Eizellen (sog. Kryokonservierung) durch das Gesetz zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz vom 13. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2746), zuletzt geändert am 21. November 2011 (BGBl. I S. 2228)) zeitlich nicht begrenzt wird (§ 9 Nr. 4 des Gesetzes; vgl. Spickhoff/Müller-Terpitz Medizinrecht 2. Aufl. § 9 ESchG Rn. 2), könnte sich eine Arbeitnehmerin andernfalls unter Umständen mehrere Jahre auf den besonderen Kündigungsschutz gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG berufen (aA Reiner EuZA 2009, 79).

21. c) Da eine Schwangerschaft aufgrund einer In-vitro-Fertilisation keinesfalls vor dem Embryonentransfer beginnen kann, verbietet sich eine Rückrechnung um 280 Tage vom mutmaßlichen Geburtstermin. Damit würden – weil der erste Tag der letzten Menstruation notwendig früher liegen muss – auch Zeiten vor dem Transfer einbezogen, ohne dass es nötig wäre, auf diese Weise der Gefahr vorzubeugen, eine tatsächlich schon schwangere Frau vom besonderen Kündigungsschutz auszuschließen.

22. d) Richtigerweise beginnt eine Schwangerschaft aufgrund einer In-vitro-Fertilisation auch nicht später als mit dem Embryonentransfer (ebenso Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath 3. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 10; ErfK/Schlachter 15. Aufl. § 3 AGG Rn. 6; Göhle-Sander jurisPR-ArbR 40/2014 Anm. 3; HaKo-Fiebig/Böhm 4. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 7; Küttner/Poeche Personalbuch 2014 Mutterschutz Rn. 5; Töns/Dalheimer MuSchG 2. Aufl. § 195 RVO Rn. 41; Zmarzlik/Zipperer MuSchG 9. Aufl. § 3 Rn. 2). Sie beginnt nicht erst mit der Nidation (so aber AR-Vossen 7. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 6; KR/Bader/Gallner 10. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 29; etwas missverständlich Buchner/Becker MuSchG 8. Aufl. § 1 Rn. 141a; Rancke/Pepping Mutterschutz 3. Aufl. § 3 MuSchG Rn. 5; Roos/Bieresborn MuSchG § 3 Rn. 118: sie sprechen jeweils von „erfolgreicher Implantation“).

23. aa) Der Mutterschutz genießt einen hohen Rang. Mit ihm verwirklicht der nationale Gesetzgeber seinen Schutzauftrag aus Art. 6 Abs. 4 GG (vgl. BVerfG 18. November 2003 – 1 BvR 302/96 – zu C 2 b aa der Gründe, BVerfGE 109, 64). Zugleich kommt er den Verpflichtungen aus der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (MutterschutzRL) nach. Zweck des Mutterschutzes ist es, die im Arbeitsverhältnis stehende Mutter vor arbeitsplatzbedingten Gefahren, Überforderungen und Gesundheitsschädigungen zu bewahren. Das Kündigungsverbot in § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG soll die schwangere Arbeitnehmerin vor der Gefahr schützen, die die Möglichkeit einer Entlassung für ihre psychische und physische Verfassung darstellt (vgl. EuGH 26. Februar 2008 – C-506/06 – [Mayr] Rn. 34, Slg. 2008, I-1017 zu Art. 10 Nr. 1 der MutterschutzRL). Um die Sicherheit und den Schutz jeder schwangeren Arbeitnehmerin zu gewährleisten, ist nach den unionsrechtlichen Vorgaben von dem frühestmöglichen Zeitpunkt des Vorliegens einer Schwangerschaft auszugehen (EuGH 26. Februar 2008 – C-506/06 – [Mayr] Rn. 37, 40, aaO zu Art. 10 Nr. 1 der MutterschutzRL). Das ist der Zeitpunkt der Verbindung einer befruchteten Eizelle mit dem Organismus der werdenden Mutter durch den Embryonentransfer. Spätestens damit ist ein Zustand erreicht, der demjenigen nach der natürlichen Befruchtung entspricht. Auch bei der natürlichen Empfängnis beginnt die Schwangerschaft mit der Konzeption, nicht erst mit der Nidation.

24. bb) Das Abstellen auf den Embryonentransfer bedeutet zudem Rechtssicherheit. Der Zeitpunkt des Transfers lässt sich problemlos feststellen. Für den Zeitpunkt der Nidation gilt dies nicht. Bei der Nidation handelt es sich um einen Prozess, der mit Anheftung der Blastozyste (bzw. des Embryos) am fünften und sechsten Entwicklungstag beginnt und am elften bis zwölften Tag abgeschlossen wird (Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 265. Aufl. „Nidation“). Wann genau dieser Prozess bei der betreffenden Frau beginnt und endet, wird in der Regel nicht festgestellt. Damit ist der frühestmögliche Termin der Nidation nur schwer zu bestimmen. Es verbliebe eine erhebliche Unsicherheit über den Beginn des Kündigungsschutzes.

25. cc) Das Abstellen auf den Embryonentransfer steht nicht in Widerspruch zu § 218 Abs. 1 Satz 2 StGB. Zwar kann danach ein – strafbewehrter – Schwangerschaftsabbruch erst vorliegen, wenn die Einnistung des befruchteten Eis in der Gebärmutter abgeschlossen ist. Schutzobjekt des § 218 StGB ist jedoch nicht (auch) die werdende Mutter, sondern ausschließlich die Leibesfrucht. Der strafrechtliche Schutz setzt deshalb erst nach dem biologisch-medizinischen Beginn einer Schwangerschaft ein (vgl. Schönke/Schröder/Eser StGB 29. Aufl. § 218 Rn. 6). Er stellt auf den Zeitpunkt der Nidation ab, weil vorher kaum zwischen einem Abbruch und einem ungewollten Frühstabgang der Leibesfrucht unterschieden werden kann (vgl. BT-Drs. 12/2605 S. 22; Schönke/Schröder/Eser StGB 29. Aufl. vor §§ 218 bis 219b Rn. 35). Die andere Zielrichtung des § 218 Abs. 1 Satz 2 StGB als die des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG rechtfertigt es, für den Beginn des jeweiligen Schutzes unterschiedliche Zeitpunkte festzulegen. So liegt es im Übrigen nicht nur bei der Schwangerschaft aufgrund einer In-vitro-Fertilisation, sondern auch bei der natürlichen Schwangerschaft.

26. dd) Der Hinweis des Beklagten auf geringe Erfolgsaussichten von In-vitro-Fertilisationen spielt für den Streitfall keine Rolle. Die Klägerin hat zwischenzeitlich ein Kind entbunden. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob durch den Embryonentransfer der Beginn des besonderen Kündigungsschutzes lediglich für den Fall bestimmt wird, dass es in der Folge zu einer Nidation kommt, oder ob der besondere Kündigungsschutz mit der Einsetzung einer befruchteten Eizelle in die Gebärmutter „unbedingt“, also in jedem Fall, einsetzt und – ohne Nachwirkung – wieder endet, wenn eine Einnistung ausbleibt. Die letztgenannte Sichtweise könnte durch Art. 10 Nr. 1 MutterschutzRL geboten sein, entspricht der Rechtslage bei natürlicher Schwangerschaft (bei der die nicht zur Nidation führende Konzeption freilich oft unbemerkt bleiben wird) und verwirklicht den Grundsatz, dass die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts zum Zeitpunkt seiner Vornahme feststehen soll (vgl. KR/Bader/Gallner 10. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 64b zur Rechtsprechung des Senats zum Beginn der Schwangerschaft bei natürlicher Empfängnis). Dieser Grundsatz gilt allerdings nicht uneingeschränkt. In § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG (vgl. auch Art. 2 Buchst. a der MutterschutzRL) wird er durchbrochen, indem eine ohne Kenntnis von der Schwangerschaft erklärte Kündigung unwirksam wird, wenn die Arbeitnehmerin dem Arbeitgeber fristgerecht entsprechende Mitteilung macht. Insofern wird dem Arbeitgeber ohnehin ein mindestens zweiwöchiger – bei fehlendem Verschulden der Arbeitnehmerin sogar längerer – „Schwebezustand“ zugemutet. Solches ist dem Arbeits- und allgemeinen Zivilrecht auch in anderen Zusammenhängen nicht fremd (vgl. für das Arbeitsrecht nur § 85 SGB IX, §§ 174, 180 BGB und zB für das Mietrecht § 543 Abs. 2 Satz 3, § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB).

27. 4. Danach war die Klägerin bei Zugang der Kündigung schwanger. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass der Embryonentransfer am 24. Januar 2013 erfolgt ist. Diese Feststellung bindet den Senat. Gegen sie ist ein zulässiger und begründeter Revisionsangriff nicht geführt worden (§ 559 Abs. 2 ZPO).

28. a) Der Zeitpunkt des Embryonentransfers ist Gegenstand tatrichterlicher Würdigung iSd. § 286 Abs. 1 ZPO. Eine solche ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob das Berufungsgericht den gesamten Inhalt der Verhandlung berücksichtigt und alle erhobenen Beweise gewürdigt hat, ob eine Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei, ohne Verletzung von Denkgesetzen sowie allgemeinen Erfahrungssätzen erfolgt und ob sie rechtlich möglich ist (BAG 21. August 2014 – 8 AZR 655/13 – Rn. 40; 20. Juni 2013 – 2 AZR 546/12 – Rn. 16, BAGE 145, 278).

29. b) Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Arbeitnehmerin ihrer Darlegungslast für das Bestehen einer Schwangerschaft im Kündigungszeitpunkt zunächst durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung genügt (BAG 7. Mai 1998 – 2 AZR 417/97 – zu II 3 c der Gründe, BAGE 88, 357), und die Klägerin mit ihrem Mutterpass und dem Schreiben vom 16. Mai 2013 zwei Bescheinigungen vorgelegt hat, die als Tag des Embryonentransfers den 24. Januar 2013 ausweisen. Der Beklagte geht selbst davon aus, dass die Klägerin an diesem Tag aufgrund einer „Operation“ ausgefallen sei.

30. c) Die von der Revision gerügten Widersprüche in den ärztlichen Bescheinigungen bestehen nicht. Zwar wurde laut Mutterpass am 27. Februar 2013 eine Schwangerschaft in der siebten/achten Woche festgestellt. Diese Angabe beruhte jedoch ersichtlich auf einer Berechnung anhand der letzten Menstruation, die im Mutterpass mit Datum vom 8. Januar 2013 angegeben ist. Dem entspricht die Feststellung einer Frühschwangerschaft in der fünften Woche in der ärztlichen Bescheinigung vom 11. Februar 2013.

31. B. Die Kündigung verstieß außerdem gegen § 7 Abs. 1 iVm. §§ 1, 3 AGG. Sie diskriminierte die Klägerin wegen ihres Geschlechts.

32. I. Eine ordentliche Kündigung, die einen Arbeitnehmer, auf den das Kündigungsschutzgesetz – noch – keine Anwendung findet, aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe diskriminiert, ist gemäß § 134 BGB iVm. § 7 Abs. 1 AGG unwirksam. Zwar regelt das AGG nicht selbst, welche Rechtsfolge eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG unzulässige Benachteiligung hat. Jedoch ergibt sich die Rechtsfolge aus § 134 BGB. Seit Inkrafttreten des AGG sind deshalb diskriminierende Kündigungen nicht mehr am Maßstab des § 242 BGB zu messen. § 2 Abs. 4 AGG steht dem nicht entgegen (BAG 19. Dezember 2013 – 6 AZR 190/12 – Rn. 14, 18, 22).

33. II. Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, der Beklagte habe die Klägerin durch die Kündigung wegen ihres Geschlechts diskriminiert.

34. 1. Gemäß § 7 Abs. 1 Halbs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale benachteiligt werden. Eine unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG liegt vor, wenn eine Person wegen eines der verpönten Merkmale eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.

35. 2. Die Kündigung als solche knüpft als gestaltende Willenserklärung nicht an die Diskriminierungsmerkmale des § 1 AGG an. Erst die dem Kündigungsentschluss zugrunde liegenden Erwägungen können Anhaltspunkt für einen Zusammenhang zwischen der Kündigungserklärung und einem Merkmal nach § 1 AGG sein. Dieser kann sich aus der Kündigungsbegründung oder anderen Umständen ergeben. Dabei bedarf es keiner subjektiven Komponente im Sinne einer Benachteiligungsabsicht. Es genügt, dass eine Anknüpfung der Kündigung an ein Diskriminierungsmerkmal zumindest in Betracht kommt (BAG 22. Oktober 2009 – 8 AZR 642/08 – Rn. 29).

36. 3. Die Kündigung wegen einer Schwangerschaft der Arbeitnehmerin oder aus einem im Wesentlichen auf der Schwangerschaft beruhenden Grund kommt nur bei Frauen in Betracht. Sie stellt eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar (vgl. EuGH 26. Februar 2008 – C-506/06 – [Mayr] Rn. 46, Slg. 2008, I-1017; 8. September 2005 – C-191/03 – [McKenna] Rn. 47, Slg. 2005, I-7631; jeweils zur MutterschutzRL). Da die Maßnahmen zur Vorbereitung und Durchführung einer In-vitro-Fertilisation ausschließlich Frauen betreffen, führt die Kündigung einer Arbeitnehmerin, die hauptsächlich aus dem Grund erfolgt, dass sie beabsichtigt, sich dieser Behandlung zu unterziehen, ebenfalls zu einer unmittelbaren Geschlechtsdiskriminierung (vgl. EuGH 26. Februar 2008 – C-506/06 – [Mayr] Rn. 50, Slg. 2008, I-1017 zur MutterschutzRL; siehe auch LAG Köln 3. Juni 2014 – 12 Sa 911/13 – zur Nichtverlängerung eines Arbeitsverhältnisses).

37. 4. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass maßgeblicher Grund für die Kündigung die – geplante – Durchführung einer In-vitro-Fertilisation und die damit verbundene Möglichkeit einer Schwangerschaft waren.

38. a) Die zugunsten der Klägerin eingreifende Beweislastregel des § 22 AGG für eine Benachteiligung wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale wirkt sich auf die Verteilung der Darlegungslast aus. Es genügt, dass die Beschäftigte Indizien vorträgt und gegebenenfalls beweist, die ihre Benachteiligung wegen eines verpönten Merkmals vermuten lassen. Hierzu ist nicht erforderlich, dass die Tatsachen einen zwingenden Schluss auf eine Verknüpfung der Benachteiligung mit einem Diskriminierungsmerkmal erlauben. Vielmehr reicht es, wenn dafür nach allgemeiner Lebenserfahrung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht. Ist dies der Fall, trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat (BAG 7. Juli 2011 – 2 AZR 396/10 – Rn. 34; 22. Juli 2010 – 8 AZR 1012/08 – Rn. 65).

39. b) Die Würdigung, ob die Arbeitnehmerin Tatsachen vorgetragen hat, die ihre Benachteiligung wegen eines verpönten Merkmals vermuten lassen, obliegt den Tatsachengerichten. Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO haben sie unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach ihrer freien Überzeugung zu entscheiden, ob sie eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr erachten. Diese Grundsätze gelten auch, wenn nicht darüber zu entscheiden ist, ob eine Behauptung „wahr“ ist, sondern darüber, ob vorgetragene und gegebenenfalls bewiesene Tatsachen eine Behauptung der Arbeitnehmerin als „wahr“ vermuten lassen (BAG 22. Juli 2010 – 8 AZR 1012/08 – Rn. 66; 17. Dezember 2009 – 8 AZR 670/08 – Rn. 20).

40. c) Die gewonnene Überzeugung von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen dem verpönten Merkmal – hier dem Geschlecht der Klägerin – und einem Nachteil kann vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden, ob sie möglich und in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Rechtssätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BAG 18. September 2014 – 8 AZR 753/13 – Rn. 24; 27. März 2014 – 6 AZR 989/12 – Rn. 37).

41. d) Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die Annahme des Landesarbeitsgerichts, maßgeblicher Grund für den Ausspruch der Kündigung seien die – beabsichtigte – Durchführung einer In-vitro-Fertilisation und die damit einhergehende Möglichkeit einer Schwangerschaft der Klägerin gewesen, allemal stand.

42. aa) Das Landesarbeitsgericht hat, wenn auch ohne Bezug auf § 22 AGG, hinreichende Indizien für seine Annahme darin gesehen, dass der Beklagte, der sich bis dahin regelmäßig positiv über ihre Arbeitsleistung geäußert hatte, das Arbeitsverhältnis der Klägerin kurze Zeit nach ihrer Mitteilung vom 14. oder 15. Januar 2013 von einer erneut „anstehenden“ künstlichen Befruchtung – nämlich am 31. Januar 2013 – gekündigt und ihre Stelle mit einer „älteren“ Arbeitnehmerin besetzt hat. Ferner hat es gemeint, der Beklagte habe die aus diesen Umständen resultierende Vermutung nicht durch substantiierten Sachvortrag entkräftet.

43. bb) Diese Würdigung ist in sich widerspruchsfrei und verstößt nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze. Insbesondere der zeitliche Zusammenhang trägt den Schluss, die Kündigung sei aufgrund der Ankündigung der Klägerin erfolgt (vgl. dazu BAG 23. April 2009 – 6 AZR 189/08 – Rn. 15, BAGE 130, 347 zu § 612a BGB). Soweit der Beklagte die unstreitigen Tatsachen – die Mitteilung der Klägerin und das Fehlen von Verwarnungen und Abmahnungen – anders beurteilt sehen will, setzt er lediglich seine eigene Würdigung an die Stelle derer des Landesarbeitsgerichts. Rechtsfehler zeigt er damit nicht auf.

44. cc) Die vom Beklagten erstmals in der Revisionsinstanz vorgebrachten Tatsachen können gemäß § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO keine Berücksichtigung mehr finden. Verfahrensrügen iSv. § 559 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO hat er nicht erhoben.

45. C. Der Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

Pressemitteilung Nr. 42/15

Der Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs setzt ein erfüllbares, dh. tatsächlich durchführbares Arbeitsverhältnis voraus. Bei rückwirkender Begründung des Arbeitsverhältnisses liegt ein solches für den vergangenen Zeitraum nicht vor.

Die Klägerin war bis zum 31. Dezember 1986 bei der Beklagten beschäftigt. Mit Wirkung vom 1. Januar 1987 ging ihr Arbeitsverhältnis im Wege eines Betriebsübergangs auf eine neu gegründete Gesellschaft, die C. GmbH, über. Die Beklagte garantierte ihr ein Rückkehrrecht. Über das Vermögen der C. GmbH wurde am 1. Oktober 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet, worauf der Klägerin wegen Betriebsschließung zum 31. Januar 2010 gekündigt wurde. Die Klägerin machte ihr Rückkehrrecht gegenüber der Beklagten gerichtlich geltend. Die Beklagte lehnte den Abschluss eines Arbeitsvertrags unter Berufung auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19. Oktober 2005 (- 7 AZR 32/05 -) in einem nach ihrer Auffassung vergleichbaren Fall ab. Das Landesarbeitsgericht verurteilte die Beklagte rechtskräftig dazu, das Angebot der Klägerin auf Abschluss eines Arbeitsvertrags ab dem 1. Februar 2010 anzunehmen.

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage rückständiges Arbeitsentgelt für die Zeit ab 1. Februar 2010. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Auf die Revision der Beklagten hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs besteht nicht. Dieser setzt ein tatsächlich durchführbares Arbeitsverhältnis voraus. Ein rückwirkend begründetes Arbeitsverhältnis ist für in der Vergangenheit liegende Zeiträume nicht tatsächlich durchführbar. Die Beklagte schuldet die Vergütung auch nicht nach § 326 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 BGB, weil sie die Unmöglichkeit der Erbringung der Arbeitsleistung für die Vergangenheit nicht zu verantworten hat. Die Beklagte befand sich in einem entschuldbaren Rechtsirrtum.

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 19. August 2015 – 5 AZR 975/13 –

Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil vom 2. September 2013 – 5 Sa 233/13 –

Hinweis: Die Sache – 5 AZR 974/13 – ist durch Vergleich erledigt worden.

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 10.2.2015, 9 AZR 455/13

Leitsätze

Ein Arbeitgeber gewährt durch eine Freistellungserklärung für den Zeitraum nach dem Zugang einer fristlosen Kündigung nur dann wirksam Urlaub, wenn er dem Arbeitnehmer die Urlaubsvergütung vor Antritt des Urlaubs zahlt oder vorbehaltlos zusagt.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 14. März 2013 – 16 Sa 763/12 – aufgehoben, soweit die Beklagte verurteilt wurde, an den Kläger 2.357,09 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. November 2011 zu zahlen.

2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 29. März 2012 – 6 Ca 4596/11 – wird im Umfang der Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten der Revision und der Berufung zu tragen. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens hat der Kläger zu 80 % zu tragen, die Beklagte zu 20 %.

Tatbestand

1. Die Parteien streiten nach der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses über einen Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Urlaubsabgeltung.

2. Der Kläger war seit dem 1. Oktober 1987 bei der Beklagten beschäftigt, zuletzt gegen eine monatliche Vergütung iHv. 3.639,41 Euro brutto. Der nicht unterzeichnete Arbeitsvertrag vom 1. Oktober 1987 regelt unter Ziff. 6 „Weitere Kündigungsregelungen“ Folgendes:

„Der Arbeitgeber ist berechtigt, den/die Angestellten jederzeit unter Fortzahlung des letzten monatlichen Gehaltes von der Arbeit freizustellen.“

3. Unter Ziff. 14 „Anwendung einschlägiger Tarifverträge“ heißt es:

„Im Übrigen finden auf das Arbeitsverhältnis die einschlägigen Tarifverträge für Angestellte Anwendung, die von dem für den Betrieb räumlich zuständigen Innungsverband des holz- und kunststoffverarbeitenden Handwerks für den Geltungsbereich des Betriebes abgeschlossen sind oder abgeschlossen werden. Dies gilt beispielsweise für Urlaub, vermögenswirksame Leistungen und Kündigungsfrist.“

4. Die Beklagte wendet die Tarifverträge für den „Auftragsbezogenen Ladenbau“ in Nordrhein-Westfalen an.

5. Mit Schreiben vom 19. Mai 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich mit sofortiger Wirkung, hilfsweise fristgemäß zum 31. Dezember 2011. In dem Kündigungsschreiben heißt es auszugsweise:

„…

hiermit kündigen wir das mit Ihnen am 01.10.1987 begonnene Arbeitsverhältnis außerordentlich mit sofortiger Wirkung wegen Vorliegens eines wichtigen Grundes im Sinne von § 626 BGB, hilfsweise fristgemäß zum 31.12.2011.

Der Betriebsrat wurde vor Ausspruch dieser Kündigung angehört.

Im Falle der Wirksamkeit der hilfsweise fristgemäßen Kündigung werden Sie mit sofortiger Wirkung unter Anrechnung sämtlicher Urlaubs- und Überstundenansprüche unwiderruflich von der Erbringung Ihrer Arbeitsleistung freigestellt.“

6. Gegen die Wirksamkeit der Kündigung wandte sich der Kläger in einem beim Arbeitsgericht Dortmund geführten Kündigungsrechtsstreit. Im Gütetermin vom 17. Juni 2011 schlossen die Parteien einen Vergleich. Dieser enthält ua. folgende Regelungen:

„1. Die Parteien sind sich dahingehend einig, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund arbeitgeberseitiger, ordentlicher Kündigung vom 19.05.2011 mit Wirkung zum 30.06.2011 aus betrieblichen Gründen beendet werden wird.

5. Die Beklagte rechnet das Arbeitsverhältnis bis zum 30.06.2011 ordnungsgemäß ab. Die Parteien sind sich insofern auch dahingehend einig, dass der Kläger bis zum Beendigungstermin von der Erbringung seiner Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Vergütung freigestellt bleibt.

6. Mit der Erfüllung dieses Vergleichs sind alle wechselseitigen Ansprüche der Parteien aus und in Verbindung mit dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, gleich ob bekannt oder unbekannt, erledigt.

7. Damit ist der Rechtsstreit 7 Ca 227/11 erledigt.“

7. In einer am 8. Juni 2011 erstellten Verdienstabrechnung für Mai 2011 wies die Beklagte Urlaubsabgeltung für 88,23 Stunden bei einem Stundensatz von 20,55 Euro brutto iHv. insgesamt 1.813,13 Euro brutto aus. Nach einer unter dem 4. August 2011 erstellten weiteren Verdienstabrechnung erhielt der Kläger ein Urlaubstagegeld iHv. 1.296,40 Euro brutto. Der sich aus der Abrechnung ergebende Nettobetrag wurde an den Kläger ausgezahlt.

8. Mit Schreiben vom 1. August 2011 verlangte der Kläger ua. die ordnungsgemäße Abrechnung des Arbeitsverhältnisses bis zum Beendigungszeitpunkt gemäß Ziff. 5 des geschlossenen Vergleichs, insbesondere im Hinblick auf die Abgeltung noch ausstehender Urlaubsansprüche. Letztere lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 9. August 2011 ab.

9. Mit seiner am 4. November 2011 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger ua. Urlaubsabgeltung iHv. 2.357,09 Euro brutto geltend gemacht. Hierzu hat der Kläger behauptet, bei einer Beendigung am 30. Juni 2011 habe ihm ein Urlaubsanspruch von 15,5 Tagen zugestanden. Dies entspreche 114,7 Stunden, die mit jeweils 20,55 Euro abzugelten seien. Die Beklagte habe weder durch die Erklärung im Kündigungsschreiben noch durch die Vereinbarung im Vergleich wirksam Erholungsurlaub gewährt.

10. Der Kläger hat – soweit für die Revision von Interesse – beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.357,09 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

11. Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Ansicht vertreten, der Urlaub sei dem Kläger durch die Freistellung tatsächlich gewährt worden.

12. Das Arbeitsgericht hat die Klage – soweit sie Gegenstand der Revision ist – abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Beklagte zur Zahlung von 2.357,09 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. November 2011 verurteilt. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

13. Die zulässige Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat dem Kläger zu Unrecht eine Urlaubsabgeltung iHv. 2.357,09 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. November 2011 zugesprochen. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses war der Anspruch des Klägers auf bezahlten Erholungsurlaub bereits erfüllt.

14. I. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht allerdings angenommen, dass der Urlaubsanspruch des Klägers jedenfalls nicht vollständig durch die im Kündigungsschreiben enthaltene Erklärung der Beklagten erfüllt wurde. Die in Verbindung mit der fristlosen und der hilfsweise fristgemäßen Kündigung erteilte bezahlte Freistellung im Falle der Wirksamkeit der hilfsweise fristgemäßen Kündigung „unter Anrechnung sämtlicher Urlaubs- und Überstundenansprüche“ hat den Urlaubsanspruch des Klägers allenfalls teilweise erfüllt.

15. 1. Es ist umstritten, ob der kündigende Arbeitgeber Urlaub unter der Bedingung erteilen kann, dass die ausgesprochene Kündigung unwirksam ist.

16. a) Der Senat hat bisher angenommen, der Arbeitgeber könne den Urlaub vorsorglich für den Fall gewähren, dass eine von ihm erklärte ordentliche oder außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht auflöst. Der Bestand des Arbeitsverhältnisses als solcher werde durch eine Kündigung nicht berührt (vgl. BAG 14. August 2007 – 9 AZR 934/06 – Rn. 14 f. mwN). Mit der Kündigung mache der Arbeitgeber lediglich geltend, er gehe davon aus, das Arbeitsverhältnis werde zu dem von ihm bestimmten Zeitpunkt enden. Er „behaupte“ eine Beendigung (vgl. BAG 23. Januar 2001 – 9 AZR 26/00 – zu I 2 c bb der Gründe, BAGE 97, 18). Dem entspreche, dass der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer, der während eines Kündigungsschutzrechtsstreits Urlaub verlangt, Urlaub zu gewähren habe (vgl. BAG 9. November 1999 – 9 AZR 915/98 – zu II 2 b aa der Gründe; 21. September 1999 – 9 AZR 705/98 – zu I 2 b der Gründe, BAGE 92, 299). Die vorsorgliche Urlaubsgewährung liege im wohlverstandenen Eigeninteresse des Arbeitgebers, um die Kumulation von Annahmeverzugs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen zu verhindern (BAG 9. November 1999 – 9 AZR 915/98 – zu II 2 b bb der Gründe; 21. September 1999 – 9 AZR 705/98 – zu I 2 c der Gründe, aaO). Dem stehe nicht entgegen, dass bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzrechtsstreit offen sei, ob der Arbeitgeber Urlaubsentgelt oder Urlaubsabgeltung schulde (vgl. 17. Januar 1995 – 9 AZR 664/93 – zu I 2 b der Gründe, BAGE 79, 92). Der Urlaubsanspruch sei kein sog. Einheitsanspruch. Er richte sich auf die Befreiung von der Arbeitspflicht. Der Anspruch auf Arbeitsentgelt werde dadurch nicht berührt. Ist das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung beendet, sei der Urlaub abzugelten.
17

b) Diese Auffassung ist auf Kritik gestoßen (LAG Berlin 7. März 2002 – 7 Sa 1648/01 – zu II 2 c der Gründe; Arnold/Tillmanns/Arnold BUrlG 3. Aufl. § 7 Rn. 69; Bachmann in GK-BUrlG 5. Aufl. § 7 Rn. 38; ErfK/Gallner 15. Aufl. § 7 BUrlG Rn. 6; AR/Gutzeit 7. Aufl. § 7 BUrlG Rn. 10). Zum einen sei bei einer bedingten Urlaubserteilung für den Fall der Unwirksamkeit der Kündigung für den Arbeitnehmer nicht hinreichend klar, ob er Erholungsurlaub habe oder nicht (vgl. ErfK/Gallner aaO; AR/Gutzeit aaO). Zum anderen gebiete das Unionsrecht eine Rückkehr zur dogmatischen Einordnung des Urlaubsanspruchs als Einheitsanspruch (vgl. Arnold/Tillmanns/Arnold aaO; AR/Gutzeit aaO). Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verkenne zudem, dass der Arbeitgeber durch seine unwirksame Kündigung das Risiko der Kumulation von Annahmeverzugs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen selbst geschaffen habe (LAG Berlin 7. März 2002 – 7 Sa 1648/01 – zu II 2 c der Gründe).

18. 2. Zu Recht ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Hinblick auf die Auslegung der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Arbeitszeitrichtlinie) durch den Gerichtshof der Europäischen Union der Modifikation bedarf. Ein Arbeitgeber gewährt durch die Freistellungserklärung in einem Kündigungsschreiben nur dann wirksam Urlaub, wenn er dem Arbeitnehmer die Urlaubsvergütung vor Antritt des Urlaubs zahlt oder vorbehaltlos zusagt.

19. a) Zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs bedarf es einer Freistellungserklärung des Arbeitgebers (st. Rspr., zB BAG 19. Mai 2009 – 9 AZR 433/08 – Rn. 16, BAGE 131, 30; vgl. auch BAG 20. Januar 2009 – 9 AZR 650/07 – Rn. 24). Diese ist nur geeignet, das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zu bewirken, wenn der Arbeitnehmer erkennen muss, dass der Arbeitgeber ihn zur Erfüllung des Anspruchs auf Erholungsurlaub von der Arbeitspflicht freistellen will (st. Rspr., vgl. BAG 20. Januar 2009 – 9 AZR 650/07 – Rn. 24). Andernfalls ist nicht feststellbar, ob der Arbeitgeber als Schuldner des Urlaubsanspruchs eine Erfüllungshandlung bewirken (§ 362 Abs. 1 BGB), den Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers zB zur besseren Wahrung von Geschäftsgeheimnissen ausschließen oder aus sonstigen Gründen als Gläubiger der Arbeitsleistung auf deren Annahme mit den in § 615 BGB bezeichneten Folgen verzichten will (st. Rspr., vgl. BAG 20. Januar 2009 – 9 AZR 650/07 – Rn. 24; 9. Juni 1998 – 9 AZR 43/97 – zu I 2 b der Gründe, BAGE 89, 91; Arnold/Tillmanns/Arnold aaO Rn. 25). Das kann auch dadurch geschehen, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer unter Anrechnung auf Urlaubsansprüche von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freistellt (BAG 14. März 2006 – 9 AZR 11/05 – Rn. 11). Notwendig ist allerdings stets die endgültige Befreiung des Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht (BAG 19. Mai 2009 – 9 AZR 433/08 – Rn. 17, aaO). Die unter dem Vorbehalt des Widerrufs stehende Befreiung erfüllt daher den Urlaubsanspruch nicht. Andererseits ist die Erfüllung des Urlaubsanspruchs nur möglich, wenn überhaupt eine Arbeitspflicht im fraglichen Zeitraum besteht (BAG 18. März 2014 – 9 AZR 669/12 – und – 9 AZR 877/13 – jeweils Rn. 16).

20. b) Stellt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer für den Fall der Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung für die Dauer der Kündigungsfrist der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung frei und erhebt der Arbeitnehmer Klage nach § 4 KSchG, so steht in dem Zeitraum, in dem der Urlaub erfüllt werden soll, regelmäßig nicht rechtskräftig fest, ob die außerordentliche Kündigung wirksam ist. Dies gilt auch noch nach einer Entscheidung des Arbeitsgerichts. Nach § 64 Abs. 2 Buchst. c ArbGG ist in Rechtsstreitigkeiten über die Kündigung des Arbeitsverhältnisses die Berufung immer statthaft. Da nur im Falle der Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung eine Arbeitspflicht besteht, von der der Arbeitnehmer befreit werden kann, ist mit Zugang der bedingten Freistellungserklärung des Arbeitgebers bei dem Arbeitnehmer nicht klar, ob eine Verpflichtung zur Arbeitsleistung besteht, von der eine Befreiung möglich ist.

21. c) Darüber hinaus ist der Urlaubsanspruch nach dem Bundesurlaubsgesetz nicht allein auf die Freistellung von der Arbeitsleistung gerichtet. Nach § 1 BUrlG hat jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Zur Erfüllung dieses Anspruchs genügt es daher nicht, dass der Arbeitnehmer in der Zeit des Urlaubs nicht arbeiten muss. Das Gesetz verlangt, dass die Zeit der Freistellung von der Arbeit „bezahlt“ sein muss. § 1 BUrlG entspricht insoweit der Regelung in Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie und ist damit einer unionsrechtskonformen Auslegung zugänglich (vgl. BAG 5. August 2014 – 9 AZR 77/13 – Rn. 23). Nach der Rechtsprechung des EuGH bedeutet der in Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie enthaltene Begriff des „bezahlten“ Jahresurlaubs, dass das Arbeitsentgelt für die Dauer des Jahresurlaubs im Sinne der Richtlinie weiterzugewähren ist. Der Arbeitnehmer muss für diese Ruhezeit das gewöhnliche Arbeitsentgelt erhalten (EuGH 22. Mai 2014 – C-539/12 – [Lock] Rn. 16; 15. September 2011 – C-155/10 – [Williams ua.] Rn. 19; 16. März 2006 – C-131/04 – [Robinson-Steele ua.] Rn. 50, Slg. 2006, I-2531). Die Richtlinie behandelt den Anspruch auf Jahresurlaub und denjenigen auf Zahlung des Urlaubsentgelts als die zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs. Durch das Erfordernis der Zahlung dieses Urlaubsentgelts soll der Arbeitnehmer während des Jahresurlaubs in eine Lage versetzt werden, die in Bezug auf das Entgelt mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist (EuGH 22. Mai 2014 – C-539/12 – [Lock] Rn. 17 mwN). Daher ist der Zeitpunkt, zu dem das Entgelt für den Jahresurlaub zu zahlen ist, unbeschadet günstigerer Bestimmungen iSv. Art. 15 der Arbeitszeitrichtlinie so festzulegen, dass der Arbeitnehmer während des Jahresurlaubs in Bezug auf das Entgelt in eine Lage versetzt wird, die mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist (EuGH 16. März 2006 – C-131/04 – [Robinson-Steele ua.] Rn. 59, aaO).

22. Es kann vorliegend dahinstehen, ob dem Landesarbeitsgericht darin zu folgen ist, dass die Rechtsprechung des EuGH eine Rückkehr zur Einordnung des Urlaubsanspruchs als sog. Einheitsanspruchs mit allen in der Vergangenheit daraus gezogenen Schlussfolgerungen erfordert (zum Streit vgl. Hohmeister BB 1995, 2110). Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie gebietet nicht, dass das Urlaubsentgelt schon vor dem Urlaubsbeginn ausgezahlt werden muss (vgl. zur alten Rspr. BAG 9. Januar 1979 – 6 AZR 647/77 -). Der EuGH hat festgestellt, dass keine Bestimmung der Arbeitszeitrichtlinie ausdrücklich den Zeitpunkt festlegt, zu dem das Entgelt für den Jahresurlaub zu zahlen ist. Diese Festlegung obliegt vielmehr den Mitgliedstaaten (EuGH 16. März 2006 – C-131/04 – [Robinson-Steele ua.] Rn. 54 und 56, aaO).

23. Aus dem Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub folgt jedoch, dass dem Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Urlaubs ein Anspruch auf Vergütung sicher sein muss. Dazu genügt es nicht, wenn ihm zu irgendeinem späteren Zeitpunkt nach der rechtskräftigen Entscheidung über die Kündigungsschutzklage ein Anspruch auf Urlaubsvergütung zuerkannt wird. Der Arbeitnehmer ist in unzumutbarer Weise in seiner Urlaubsgestaltung eingeschränkt, wenn er bei Urlaubsantritt nicht weiß, ob ihm Urlaubsentgelt gezahlt wird. Mit dem unionsrechtlichen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub wird bezweckt, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zu erholen und über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen (vgl. EuGH 10. September 2009 – C-277/08 – [Vicente Pereda] Rn. 21 mwN, Slg. 2009, I-8405). Dieser Zweck kann typischerweise nur dann erreicht werden, wenn der Arbeitnehmer während des Zeitraums weiß, dass er in Bezug auf das Entgelt in eine Lage versetzt ist, die mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist.

24. d) Dies berücksichtigend hat die Beklagte durch die Erklärung im Kündigungsschreiben den Urlaubsanspruch des Klägers nicht vollständig erfüllt. Sie hat dem Kläger weder vor Antritt des Urlaubs Urlaubsvergütung gezahlt noch vorbehaltlos zugesagt.

25. aa) Dies gilt jedenfalls für den Anteil des Jahresurlaubs, der dem Kläger zugestanden hätte, wenn das Arbeitsverhältnis nicht bereits mit Zugang der fristlosen Kündigung, sondern erst mit Ablauf der Kündigungsfrist der ordentlichen Kündigung beendet worden wäre. Im Falle der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung hätte der Kläger zwar einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung nach § 7 Abs. 4 BUrlG, der abzugeltende Urlaubsanspruch wäre aber nach § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG auf vier Zwölftel zu kürzen. Bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 31. Dezember 2011 hätte dem Kläger dagegen der Urlaubsanspruch ungekürzt zugestanden. In Bezug auf den Anteil von acht Zwölftel des Urlaubsanspruchs des Jahres 2011 wusste der Kläger bis zum Abschluss des gerichtlichen Vergleichs am 17. Juni 2011 nicht, ob ihm ein Vergütungsanspruch zustehen würde. Es ist weder festgestellt noch sonst erkennbar, dass die Beklagte ihm insofern unabhängig vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses im fraglichen Zeitraum die Zahlung eines Urlaubsentgelts vorbehaltslos zugesagt hat.

26. bb) Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geltend gemacht hat, der Kläger habe jedenfalls aufgrund der Verdienstabrechnung für Mai 2011 sicher sein können, für 88,23 Stunden eine Urlaubsabgeltung iHv. 1.813,13 Euro brutto zu erhalten, stand diese Abrechnung einer vorbehaltslosen Zusage der Urlaubsvergütung nicht gleich. Der Senat hat die sog. Surrogatstheorie mit Urteil vom 19. Juni 2012 (- 9 AZR 652/10 – BAGE 142, 64) vollständig aufgegeben. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung folgt nicht mehr den Regeln des Urlaubsanspruchs. Dementsprechend muss der Gläubiger nicht stets davon ausgehen, dass die Leistung zur Erfüllung des Urlaubsabgeltungsanspruchs zugleich auch der Erfüllung eines Anspruchs auf Urlaubsentgelt dienen soll. Vielmehr bedarf es regelmäßig einer (hilfsweisen) Tilgungsbestimmung entsprechend § 366 Abs. 1 BGB. Ob die Beklagte eine solche zumindest konkludent abgegeben hat, bedarf keiner weiteren Klärung, weil der Anspruch des Klägers schon aus anderen Gründen nicht gegeben ist.

27. II. Über die Gewährung und Inanspruchnahme von Erholungsurlaub in der Zeit bis zum 30. Juni 2011 haben sich die Parteien unter Ziff. 5 des gerichtlichen Vergleichs vom 17. Juni 2011 geeinigt. Danach wurde der Urlaubsanspruch des Klägers vollständig durch bezahlte Freistellung in diesem Zeitraum erfüllt. Nach § 779 BGB ist der Vergleich ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird. Die insoweit insbesondere im Hinblick auf die Auslegung des Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bestehende Ungewissheit über die Wirksamkeit der Urlaubsgewährung im Kündigungsschreiben wurde durch die Einigung beseitigt.

28. 1. Die Auslegung eines Prozessvergleichs richtet sich nach den allgemeinen Regeln der §§ 133, 157 BGB (BAG 15. September 2004 – 4 AZR 9/04 – zu I 1 b bb (1) der Gründe, BAGE 112, 50; Thomas/Putzo/Seiler 36. Aufl. § 794 Rn. 18). In welchem Umfang die Auslegung des Vergleichs durch das Landesarbeitsgericht der Überprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt, ist umstritten (vgl. BAG 22. Oktober 2008 – 10 AZR 617/07 – Rn. 20 ff.). Teilweise wird angenommen, weil es sich um eine Prozesshandlung handele, sei die Auslegung gerichtlicher Vergleiche in der Revision vollständig überprüfbar, selbst wenn ihr Inhalt ausschließlich individuell bestimmt sei (BAG 31. Juli 2002 – 10 AZR 558/01 – zu II 2 b aa der Gründe; vgl. auch BAG 19. Mai 2004 – 5 AZR 434/03 – zu I 2 der Gründe; GMP/Müller-Glöge 8. Aufl. § 73 Rn. 22; Düwell/Lipke/Düwell 3. Aufl. § 73 Rn. 22; ErfK/Koch 15. Aufl. § 73 ArbGG Rn. 8). Andererseits wird die Auffassung vertreten, bei Prozessvergleichen sei ebenso wie bei sonstigen vertraglichen Vereinbarungen darauf abzustellen, ob es sich um eine typische Erklärung handele oder um eine atypische. Handele es sich um einen nichttypischen Vertrag könne die Auslegung des Prozessvergleichs vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden, ob das angefochtene Urteil auf einem Verstoß gegen allgemeine Auslegungsregeln, Erfahrungssätze oder Denkgesetze beruht und nicht alle für die Auslegung wesentlichen Umstände berücksichtigt worden sind (BAG 8. März 2006 – 10 AZR 349/05 – Rn. 31 ff., BAGE 117, 218; 15. September 2004 – 4 AZR 9/04 – aaO, mit dem Hinweis, dass Klauseln in Prozessvergleichen in der Regel nichttypische Erklärungen seien; vgl. auch BAG 27. August 2014 – 4 AZR 999/12 – Rn. 18; HWK/Bepler 6. Aufl. § 73 ArbGG Rn. 15; Schwab/Weth/Ulrich ArbGG 4. Aufl. § 73 Rn. 28; GK-ArbGG/Mikosch Stand Dezember 2014 § 73 Rn. 43 mit der Annahme, es handele sich in der Regel um typische Vereinbarungen).

29. 2. Es bedarf keiner abschließenden Klärung, in welchem Umfang die Auslegung des Vergleichs durch das Landesarbeitsgericht zu überprüfen ist. Diese hält auch einer eingeschränkten Überprüfung nicht stand. Das Landesarbeitsgericht hat sich rechtsfehlerhaft auf die Auslegung des Satzes 2 der Ziff. 5 des Vergleichs beschränkt, ohne die übrigen Regelungen des Prozessvergleichs in die Auslegung einzubeziehen.

30. a) Im Kündigungsschreiben vom 19. Mai 2011 hat die Beklagte erklärt, im Falle der Wirksamkeit der hilfsweise fristgemäßen Kündigung werde der Kläger mit sofortiger Wirkung unter Anrechnung sämtlicher Urlaubs- und Überstundenansprüche unwiderruflich von der Erbringung seiner Arbeitsleistung freigestellt. Mit Ziff. 1 des Vergleichs vom 17. Juni 2011 haben sich die Parteien darauf geeinigt, dass diese Bedingung erfüllt war, indem sie vereinbarten, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund arbeitgeberseitiger, ordentlicher Kündigung vom 19. Mai 2011 mit Wirkung zum 30. Juni 2011 beendet werden wird. Da die Parteien die Beendigung bereits zum 30. Juni 2011 und nicht – wie in der Kündigungserklärung vom 19. Mai 2011 vorgesehen – zum 31. Dezember 2011 vereinbarten, hätte es nahe gelegen, als Beendigungsgrund den gerichtlichen Vergleich selbst und nicht das Kündigungsschreiben der Beklagten anzunehmen. Das Anknüpfen an die Kündigungserklärung vom 19. Mai 2011 stellt vor diesem Hintergrund ein Indiz dafür dar, dass gerade auch die Urlaubsgewährung ab jenem Zeitpunkt von dem Willen der Parteien umfasst war. Vor diesem Hintergrund bedurfte es – entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts – nicht zwingend der ausdrücklichen Vereinbarung im Prozessvergleich, dass die bezahlte Freistellung der Erfüllung des Urlaubsanspruchs dienen sollte.

31. b) Das Landesarbeitsgericht ist im Rahmen seiner Auslegung auch nicht auf Ziff. 6 des Prozessvergleichs eingegangen. Danach sollten mit der Erfüllung dieses Vergleichs alle wechselseitigen Ansprüche der Parteien aus und in Verbindung mit dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, gleich ob bekannt oder unbekannt, erledigt sein. Bei dem Urlaubsanspruch handelt es sich um einen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis. Damit folgt auch aus Ziff. 6 des Vergleichs, dass durch die bezahlte Freistellung des Klägers im Zeitraum vom Zugang der Kündigung vom 19. Mai 2011 bis zum 30. Juni 2011 auch der Urlaubsanspruch erfüllt sein sollte. Der Kläger hat nicht geltend gemacht, dass dieser Zeitraum nicht ausgereicht habe, um sämtliche Urlaubsansprüche und Überstundenguthaben zu erfüllen.

32. Der Wortlaut von Ziff. 6 des Vergleichs unterscheidet sich auch erheblich von dem Wortlaut der Erledigungsklausel, die Gegenstand des Urteils des Senats vom 9. Juni 1998 war (- 9 AZR 43/97 – BAGE 89, 91 [„Mit Zahlung des Gehalts Juni und Aushändigung der Papiere sowie einem qualifizierten Zeugnis sind alle gegenseitigen Forderungen erledigt.“]). Durch die Formulierung „mit der Erfüllung dieses Vergleichs“ haben die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits zum Ausdruck gebracht, dass die vergütete Freistellung von der Arbeit und nicht erst die Erledigungsklausel selbst zum Untergang des Urlaubsanspruchs führen sollte. Insofern ähnelt die Klausel zwar der Klausel, über die sich die Entscheidung des Achten Senats vom 31. Mai 1990 verhält (- 8 AZR 132/89 – BAGE 65, 171 [„Mit Erledigung der Ziffern 2. bis 4. sind alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung erledigt.“]). In jenem (außergerichtlichen) Vergleich einigten sich die Parteien in Ziff. 2 jedoch nur auf eine Freistellung bis zum Ende der Kündigungsfrist, ohne die Vergütungspflicht ausdrücklich zu regeln. Im Übrigen ist im Vergleich der Parteien vom 17. Juni 2011 auch die in der Formulierung, „dass der Kläger … freigestellt bleibt“, liegende Bezugnahme auf das Schreiben vom 19. Mai 2011 zu berücksichtigen, in dem die Anrechnung der bezahlten Freistellung auf sämtliche Urlaubsansprüche ausdrücklich genannt ist.

33. c) Nach Ziff. 3 des Vergleichs vom 17. Juni 2011 zahlt die Beklagte an den Kläger wegen des Verlusts seines sozialen Besitzstands eine Abfindung entsprechend §§ 9, 10 KSchG iHv. 15.000,00 Euro brutto. Es ist – gerade unter Berücksichtigung der Erledigungsklausel in Ziff. 6 des Vergleichs – nicht erkennbar, dass die Beklagte durch den Vergleich neben dem Abfindungsanspruch noch einen zusätzlichen Anspruch begründen wollte. Dies wäre aber nach der Auslegung des Landesarbeitsgerichts der Fall. Der Kläger hätte neben dem Anspruch auf Abgeltung des vollen Urlaubs einen Anspruch auf bezahlte Freistellung im Zeitraum vom Zugang der Erklärung vom 19. Mai 2011 bis zum 30. Juni 2011. Ein Anlass, warum die Beklagte sich neben der Pflicht zur Urlaubsgewährung bzw. zur Urlaubsabgeltung zu einer weiteren bezahlten Freistellung von der Arbeitsleistung verpflichten sollte, ist weder festgestellt noch dargelegt.

34. III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 19.2.2015, 8 AZR 1007/13

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 11. Juli 2013 – 11 Sa 312/13 – wird zurückgewiesen.

Die Anschlussrevision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 11. Juli 2013 – 11 Sa 312/13 – wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Revisionsverfahrens trägt die Klägerin 9/10 und die Beklagte 1/10.

Tatbestand

1. Die Parteien streiten noch über die Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin wegen einer Observation durch einen Detektiv eine Geldentschädigung zu zahlen.

2. Die Klägerin war bei der Beklagten seit Mai 2011 als Sekretärin der Geschäftsleitung tätig. Ab dem 27. Dezember 2011 war sie arbeitsunfähig erkrankt, zunächst mit Bronchialerkrankungen und später mit einem Bandscheibenvorfall. Für die Zeit bis 28. Februar 2012 legte sie nacheinander sechs Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, zuerst vier eines Facharztes für Allgemeinmedizin, dann ab 31. Januar 2012 zwei einer Fachärztin für Orthopädie. Der Geschäftsführer der Beklagten bezweifelte das Vorliegen eines Bandscheibenvorfalls und beauftragte zwecks Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit eine Detektei mit der Observation der Klägerin. Diese erfolgte von Mitte bis Ende Februar 2012 an vier Tagen. Beobachtet wurden ua. ihr Wohnhaus, sie und ihr Mann mit Hund vor dem Haus und der Besuch der Klägerin in einem Waschsalon. Dabei wurden auch Videoaufnahmen erstellt. Der abschließende Observationsbericht, der der Beklagten übergeben worden ist, enthält elf Bilder, neun davon aus Videosequenzen.

3. Der Rechtsstreit der Parteien betraf zuerst eine Kündigungsschutzklage der Klägerin und die Forderung der Beklagten betreffend die Erstattung von Detektivkosten. In diesem Rahmen berief sich die Beklagte auf den Observationsbericht und führte ihn in das Verfahren ein. Die Kündigungsschutzklage war vor dem Arbeitsgericht erfolgreich, nicht dagegen die Widerklage der Beklagten auf Erstattung von Detektivkosten. Betreffend beides wurde das Urteil des Arbeitsgerichts rechtskräftig, nicht aber bezogen auf einen zwischenzeitlich erhobenen Geldentschädigungsanspruch der Klägerin wegen einer Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts.

4. Die Klägerin ist der Auffassung, ihr stehe eine Entschädigung zu, da die durch die Beklagte beauftragte Observation einschließlich der Videoaufnahmen rechtswidrig gewesen sei und ihr Persönlichkeitsrecht verletzt habe. Das habe bei ihr zu erheblichen, eine psychotherapeutische Behandlung erfordernden psychischen Beeinträchtigungen geführt. Der Höhe nach stelle sie die Entschädigung in das Ermessen des Gerichts, wobei ein dreifaches Bruttomonatsgehalt, also 10.500,00 Euro, angemessen sei.

5. Die Klägerin hat zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie ein Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des erkennenden Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. Juli 2012 zu zahlen.

6. Zur Begründung ihres Antrags auf Klageabweisung hat die Beklagte die Auffassung vertreten, sie sei berechtigt gewesen, die Klägerin überwachen zu lassen um zu erfahren, ob die Klägerin eine Arbeitsunfähigkeit vortäusche oder sich zumindest genesungswidrig verhalte. Dahin gehende Anhaltspunkte hätten vorgelegen, insbesondere weil die Klägerin sich kurz nach einer Meinungsverschiedenheit zuerst mit Erkältung, Bronchitis und Rippenfellentzündung arbeitsunfähig gemeldet habe, jeweils unter Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für kurze Zeiträume. Dann sei ein Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit bezogen auf einen von der Klägerin angegebenen Bandscheibenvorfall zunächst nur durch eine Folgebescheinigung eines Hausarztes attestiert worden. Erst bei Auslaufen des Entgeltfortzahlungszeitraums habe die Klägerin eine Erstbescheinigung einer Orthopädin vorgelegt. Nach allem liege eine Rechtfertigung für einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Klägerin durch Überwachung vor. Jedenfalls sei ein Schmerzensgeld nicht erforderlich, insbesondere nicht in der zugesprochenen Höhe. Es seien ausschließlich Bewegungen der Klägerin im öffentlichen Raum beobachtet worden, die Videoaufnahmen seien nicht in der Öffentlichkeit verbreitet und von der Detektei nicht an den Arbeitgeber herausgegeben worden.

7. Das Arbeitsgericht hat die Entschädigungsklage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte insoweit Erfolg als das Landesarbeitsgericht ihr in Abänderung des erstinstanzlichen Urteils eine Entschädigung iHv. 1.000,00 Euro zugesprochen hat. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Ziel einer höheren Entschädigung weiter, während die Beklagte mit ihrer Anschlussrevision die Abweisung der Klage begehrt.

Entscheidungsgründe

8. Die Revision und die Anschlussrevision sind unbegründet. Die Observation einschließlich der heimlichen Aufnahmen war rechtswidrig. Die Beklagte hatte keinen berechtigten Anlass zur Überwachung. Die vom Landesarbeitsgericht angenommene Höhe des Schmerzensgeldes ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

9. A. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Klägerin könne eine Entschädigung beanspruchen, da sie durch die heimliche Beobachtung und Fertigung von Videoaufnahmen rechtswidrig iSv. § 32 Abs. 1 BDSG und schwerwiegend in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt worden sei. Für den Beobachtungszeitraum habe eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegen, der ein hoher Beweiswert zukomme. Die Observation sei zu dem Zweck erfolgt, ein (vermutetes) Fehlverhalten der Klägerin im Zusammenhang mit der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit aufzudecken. Die Beklagte habe keine begründeten Gesichtspunkte für ernsthafte Zweifel am Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit genannt. Die Rechtsverletzung habe mit den heimlichen Videoaufzeichnungen im privaten Lebensbereich der Klägerin die Grenze zur entschädigungspflichtigen Persönlichkeitsverletzung überschritten. Sei bereits die Krankenkontrolle als solche nicht durch § 32 BDSG gedeckt, komme erschwerend hinzu, dass das gewählte Mittel heimlicher Videoaufzeichnung auch unabhängig davon nicht erforderlich sei, also auch in einem Fall gerechtfertigter Krankenkontrolle unverhältnismäßig wäre. Insgesamt habe die Überwachung eine Intensität erreicht, die nicht in anderer Weise befriedigend habe ausgeglichen werden können. Dies sei auch bei der Bemessung der Höhe einer Entschädigung zu berücksichtigen gewesen. Dabei sei einzubeziehen gewesen, dass die Bildaufzeichnungen nicht die Intim- oder Privatsphäre der Klägerin beträfen und nicht an beliebige andere Personen weitergegeben worden seien, sondern von der Detektei vertraulich aufbewahrt würden; allerdings seien Auszüge daraus dem Observationsbericht beigefügt worden und die Beklagte habe Videosequenzen im Kündigungsschutzprozess als Beweismittel angeboten. Der Hinweis der Klägerin auf eine noch andauernde psychotherapeutische Behandlung beziehe sich auf mehrere Umstände einer Therapiebedürftigkeit, nicht nur auf die Observation.

10. B. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

11. I. Die Revision der Klägerin und die Anschlussrevision der Beklagten sind zulässig. Für die Revision der Klägerin ist die erforderliche Beschwer gegeben, obwohl die Höhe der beantragten Geldentschädigung in das Ermessen des Gerichts gestellt worden ist. Der Klägerin ist weniger zugesprochen worden als sie nach ihrem Klagevorbringen erkennbar erwartet hatte.

12. II. Die Revision und die Anschlussrevision sind unbegründet.

13. 1. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Beklagte durch die von ihr in Auftrag gegebene Überwachung mit Videoaufzeichnungen rechtswidrig das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin verletzt hat und die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Geldentschädigung wegen einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung gegeben sind.

14. a) Das durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht ist im Privatrechtsverkehr und insbesondere auch im Arbeitsverhältnis zu beachten (vgl. ua. BAG 21. Juni 2012 – 2 AZR 153/11 – Rn. 30, BAGE 142, 176; 16. November 2010 – 9 AZR 573/09 – Rn. 37 ff., BAGE 136, 156; BGH 8. Februar 2011 – VI ZR 311/09 – Rn. 12; 20. Dezember 2011 – VI ZR 262/10 – Rn. 10; BVerfG 14. Februar 1973 – 1 BvR 112/65 – zu C I 2 der Gründe, BVerfGE 34, 269). Ein auf § 823 Abs. 1 BGB gestützter Anspruch auf Geldentschädigung wegen einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung – nur eine solche kommt dafür in Betracht – setzt voraus, dass die Beeinträchtigung nicht auf andere Weise befriedigend ausgeglichen werden kann (BAG 21. Juni 2012 – 8 AZR 188/11 – Rn. 29, BAGE 142, 143; vgl. BGH 5. März 1963 – VI ZR 55/62 – zu II der Gründe, BGHZ 39, 124; BVerfG 23. September 2009 – 1 BvR 1681/09, 1 BvR 1742/09 – Rn. 2 mwN; 14. Februar 1973 – 1 BvR 112/65 – zu C III der Gründe, aaO). Die Zubilligung einer Geldentschädigung im Fall einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung beruht auf dem Gedanken, dass ohne einen solchen Anspruch Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktion blieben mit der Folge, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde. Bei dieser Entschädigung steht – anders als beim Schmerzensgeld – regelmäßig der Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers im Vordergrund. Außerdem soll sie der Prävention dienen (BGH 5. Oktober 2004 – VI ZR 255/03 – zu II 1 der Gründe, BGHZ 160, 298).

15. Soweit das BDSG eingreift, stellt die Schadensersatzregelung in § 7 BDSG keine ausschließliche Regelung dar, sie verdrängt den auf § 823 Abs. 1 BGB gestützten Anspruch auf Geldentschädigung wegen einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht (allgemeine und zutreffende Auffassung, vgl. ua. Gola/Schomerus BDSG 12. Aufl. § 7 Rn. 16 ff.; Simitis in Simitis BDSG 8. Aufl. § 7 Rn. 33; Seifert in Simitis BDSG 8. Aufl. § 32 Rn. 191 mwN; ErfK/Franzen 15. Aufl. § 7 BDSG Rn. 1; Däubler in Däubler/Klebe/Wedde/Weichert BDSG 4. Aufl. § 7 Rn. 1 mwN, Rn. 26 ff.; Taeger/Gabel/Gabel § 7 BDSG Rn. 23, 25 ff.).

16. Ob eine so schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, dass die Zahlung einer Geldentschädigung erforderlich ist, kann nur aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Hierbei sind in gebotener Gesamtwürdigung insbesondere die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, ferner Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie der Grad des Verschuldens zu berücksichtigen (ua. BAG 19. August 2010 – 8 AZR 530/09 – Rn. 69; 18. Dezember 1984 – 3 AZR 389/83 – zu III der Gründe; BGH 17. Dezember 2013 – VI ZR 211/12 – Rn. 38 mwN, BGHZ 199, 237; 24. November 2009 – VI ZR 219/08 – Rn. 11, BGHZ 183, 227).

17. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst neben dem Recht am gesprochenen Wort auch das Recht am eigenen Bild. Es gehört zum Selbstbestimmungsrecht eines jeden Menschen darüber zu entscheiden, ob Filmaufnahmen von ihm gemacht und möglicherweise verwendet werden dürfen (vgl. BAG 26. August 2008 – 1 ABR 16/07 – Rn. 15, BAGE 127, 276; 21. November 2013 – 2 AZR 797/11 – Rn. 44, BAGE 146, 303). Die Verwertung von personenbezogenen Daten greift in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein, das die Befugnis garantiert, selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu befinden (vgl. BVerfG 11. März 2008 – 1 BvR 2074/05, 1 BvR 1254/07 – BVerfGE 120, 378). Der Achtung dieses Rechts dient zudem Art. 8 Abs. 1 EMRK (BAG 21. November 2013 – 2 AZR 797/11 – aaO; BGH 15. Mai 2013 – XII ZB 107/08 – Rn. 14). Die Bestimmungen des BDSG über die Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung konkretisieren und aktualisieren den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild (näher BAG 21. November 2013 – 2 AZR 797/11 – Rn. 45, aaO).

18. b) Eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung liegt vor.

19. aa) Vorliegend ist, wovon das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgegangen ist, an § 32 Abs. 1 BDSG (Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses) zu messen, ob ein rechtswidriger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht vorliegt. Sensitive Daten iSv. § 3 Abs. 9 BDSG, die von § 28 Abs. 6 BDSG erfasst wären (vgl. BAG 7. Februar 2012 – 1 ABR 46/10 – Rn. 26 ff., BAGE 140, 350), sind ersichtlich hier nicht betroffen. Maßgebend ist § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG. Danach dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten zur Aufdeckung von Straftaten – in Betracht kommt die Verschaffung eines rechtswidrigen Vermögensvorteils durch Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit, § 263 StGB (ua. BAG 17. Juni 2003 – 2 AZR 123/02 – Rn. 23) – nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten an dem Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind. Nach § 3 Abs. 1 BDSG sind personenbezogene Daten Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (Betroffener). Erheben ist das Beschaffen von Daten über den Betroffenen, § 3 Abs. 3 BDSG.

20. bb) Diese Vorgaben sind unionsrechtskonform unter Beachtung der Richtlinie 95/46/EG auszulegen, die nach ihrem Art. 3 Abs. 1 für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nicht automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten gilt, die in einer Datei gespeichert sind oder gespeichert werden sollen. Als eine solche Datei mit personenbezogenen Daten gilt jede strukturierte Sammlung personenbezogener Daten, die nach bestimmten Kriterien zugänglich sind, gleichgültig ob diese Sammlung zentral, dezentralisiert oder nach funktionalen oder geographischen Gesichtspunkten aufgeteilt geführt wird, Art. 2 Buchst. c Richtlinie 95/46/EG.

21. Art. 7 der Richtlinie 95/46/EG sieht eine erschöpfende und abschließende Liste der Fälle vor, in denen eine Verarbeitung personenbezogener Daten als rechtmäßig angesehen werden kann (EuGH 24. November 2011 – C-468/10 – [ASNEF] Rn. 30, Slg. 2011, I-12181). Im vorliegenden Fall ist Art. 7 Buchst. f der Richtlinie 95/46/EG zu berücksichtigen, wonach die Verarbeitung der Daten (wozu bereits die Erhebung gehört, Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 95/46/EG wie auch § 3 Abs. 2 BDSG) zur Verwirklichung des berechtigten Interesses erfolgen darf, das von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen oder von dem bzw. den Dritten wahrgenommen wird, denen die Daten übermittelt werden, sofern nicht das Interesse oder die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person (Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 95/46/EG) überwiegen. Der Schutz des in Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierten Grundrechts auf Privatleben verlangt, dass sich die Ausnahmen und Einschränkungen in Bezug auf den Schutz der personenbezogenen Daten auf das absolut Notwendige beschränken müssen (EuGH 11. Dezember 2014 – C-212/13 – [Ryneš] Rn. 28 f. mwN). Einschränkungen des Rechts auf Schutz der personenbezogenen Daten können gerechtfertigt sein, wenn sie denen entsprechen, die im Rahmen von Art. 8 EMRK geduldet werden (EuGH 9. November 2010 – C-92/09 und C-93/09 – [Volker und Markus Schecke] Rn. 52, Slg. 2010, I-11063).

22. cc) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht die Observation der Klägerin einschließlich der Bildaufnahmen und Videoaufzeichnungen als personenbezogene Datenerhebung eingeordnet.

23. Durch Privatdetektive erhobene Daten, die bestimmte oder bestimmbare natürliche Personen betreffen, sind personenbezogene Daten iSv. § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG und Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 95/46/EG. Ihre Erhebung, Aufbewahrung und Übermittlung durch einen Auftraggeber oder durch Privatdetektive, die auf eigene Rechnung handeln, ist eine „Verarbeitung personenbezogener Daten“ iSv. Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 95/46/EG (EuGH 7. November 2013 – C-473/12 – [IPI] Rn. 26; 16. Dezember 2008 – C-524/06 – [Huber] Rn. 43, Slg. 2008, I-9705). Auch das von einer Kamera aufgezeichnete Bild einer Person fällt unter den Begriff der personenbezogenen Daten iSv. Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 95/46/EG, sofern es die Identifikation der betroffenen Person ermöglicht (EuGH 11. Dezember 2014 – C-212/13 – [Ryneš] Rn. 22). Das ist hier der Fall.

24. dd) Die Observation der Klägerin einschließlich personenbezogener Datenerhebung war rechtswidrig. Ein berechtigtes Interesse der Beklagten iSv. Art. 7 Buchst. f der Richtlinie 95/46/EG, das nach § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG in der Aufdeckung einer Straftat im Beschäftigungsverhältnis liegen kann, zur Erhebung personenbezogener Daten im Wege der Observation der Klägerin einschließlich der Bildaufnahmen und Videoaufzeichnungen lag nicht vor.

25. (1) Im Hinblick auf das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit als überwachungsrechtfertigende Straftat müssen angesichts des hohen Beweiswertes einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zumindest begründete Zweifel an der Richtigkeit dieser ärztlichen Bescheinigung aufgezeigt werden, um den Beweiswert der Bescheinigung zu erschüttern (ua. BAG 11. Oktober 2006 – 5 AZR 755/05 – Rn. 35; 26. Februar 2003 – 5 AZR 112/02 – zu I 1 der Gründe mwN, BAGE 105, 171).

26. (2) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (zur beschränkten Revisibilität der nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewonnenen tatrichterlichen Überzeugung ua. BAG 11. Dezember 2014 – 8 AZR 1010/13 – Rn. 28 mwN; 26. Juni 2014 – 8 AZR 547/13 – Rn. 42 mwN) hat das Landesarbeitsgericht erkannt, dass die Beklagte keine begründeten Zweifel an der Richtigkeit der von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen aufgezeigt hat. Weder hat die Klägerin beispielsweise im Rahmen einer Auseinandersetzung am Arbeitsplatz eine nachfolgende Arbeitsunfähigkeit angekündigt, noch war der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen dadurch erschüttert, dass sie von unterschiedlichen Ärzten stammten, noch durch eine Änderung im Krankheitsbild oder weil ein Bandscheibenvorfall zunächst hausärztlich behandelt worden war. Auch sonstige, begründete Zweifel zeigende Umstände lagen nicht vor.

27. (3) Angesichts eines von vornherein fehlenden berechtigten Interesses an einer Erhebung personenbezogener Daten der Klägerin kommt es auf eine Rechtfertigungs- und Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht mehr an. Es war auch nicht zu entscheiden, wie Videoaufnahmen in einem Fall zu beurteilen wären, in dem ein berechtigter Anlass zur Überwachung gegeben ist.

28. ee) Die vorliegende rechtswidrige Datenerhebung stellt eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung dar, wegen der das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen hat, dass der Klägerin dem Grunde nach ein Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung aus § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG zusteht.

29. Ein Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin liegt bereits in der durch die Beklagte veranlassten Observation der Klägerin (vgl. auch BAG 27. März 2003 – 2 AZR 51/02 – zu B I 3 b der Gründe, BAGE 105, 356 im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 GG). Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, intensivieren die im Zusammenhang mit der Observation gefertigten Videoaufnahmen die Stärke des Eingriffs erheblich. Hinzu kommt die Heimlichkeit der Aufzeichnungen. Sie erfolgten im öffentlichen Raum und ohne eine Kenntlichmachung gemäß § 6b Abs. 1 und Abs. 2 BDSG. Auch eine Einwilligung der Klägerin (§ 4 BDSG) lag nicht vor.

30. Im Einklang mit der Rechtsprechung (BGH 17. Dezember 2013 – VI ZR 211/12 – Rn. 40 mwN, BGHZ 199, 237) hat das Landesarbeitsgericht die Zubilligung einer Geldentschädigung nicht von einer kausal mit der Persönlichkeitsrechtsverletzung zusammenhängenden psychischen Behandlungsbedürftigkeit abhängig gemacht. Denn bei der Entschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts handelt es sich nicht um ein Schmerzensgeld gemäß § 253 Abs. 2 BGB, sondern um eine Zahlung, die auf den Schutzauftrag aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG zurückgeht.

31. 2. Die vom Landesarbeitsgericht angenommene Höhe des Schmerzensgeldes war revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

32. a) Die Bemessung der Höhe der Geldentschädigung obliegt in erster Linie tatrichterlicher Entscheidung und ist revisionsrechtlich nur beschränkt überprüfbar (zur beschränkten Revisibilität ua. BGH 17. Dezember 2013 – VI ZR 211/12 – Rn. 46 mwN, BGHZ 199, 237; BAG 25. Oktober 2007 – 8 AZR 593/06 – Rn. 97, zu einem Schmerzensgeldanspruch nach § 253 Abs. 2 BGB).

33. b) Das Landesarbeitsgericht hat alle maßgeblichen Umstände des Falles angemessen gewürdigt. Es hat zutreffend als einen der wichtigen Bemessungsfaktoren die Intensität der Persönlichkeitsrechtsverletzung (BGH 5. Oktober 2004 – VI ZR 255/03 – zu II 2 d der Gründe, BGHZ 160, 298; 15. November 1994 – VI ZR 56/94 – zu IV 2 der Gründe, BGHZ 128, 1) berücksichtigt und dabei einbezogen, dass der Detektiv die Klägerin nicht nur beobachtete, sondern von ihr darüber hinaus in Situationen, denen er besondere Bedeutung beimaß, heimliche Videoaufnahmen gemacht hat. Es hat weiter zutreffend sowohl bedacht, dass die Videoaufnahmen „im privaten Lebensbereich der Klägerin die Grenze zur entschädigungspflichtigen Persönlichkeitsverletzung überschritten“, jedoch die „Bildaufzeichnungen nicht die Intim- oder Privatsphäre“ der Klägerin betrafen, sondern sich auf Geschehnisse in der Öffentlichkeitssphäre (Straße und Waschsalon) beschränkten; weiter hat es berücksichtigt, dass eine vertrauliche Aufbewahrung und grundsätzliche Nichtweitergabe an Dritte erfolgten, wobei jedoch Auszüge der Beklagten zugänglich gemacht wurden, die diese vor Gericht präsentierte. Unbedenklich ist, dass das Landesarbeitsgericht im Rahmen der Bemessung der Höhe der Geldentschädigung den Hinweis der Klägerin auf eine psychotherapeutische Behandlung, die allerdings auf multikausaler Verursachung beruht, einbezogen hat. Den Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers, der ebenfalls, wie auch der der Prävention, einer der wichtigen Bemessungsfaktoren der Geldentschädigung ist, die sich je nach Lage des Einzelfalles unterschiedlich auswirken können (vgl. BGH 5. Oktober 2004 – VI ZR 255/03 – aaO), hat das Landesarbeitsgericht ebenfalls ausdrücklich einbezogen, so dass die Höhe der Entschädigung revisionsrechtlich noch nicht zu beanstanden war.

34. 3. Die von der Klägerin erhobenen Verfahrensrügen zur weiteren Aufklärung und ggf. Beweiserhebung sind unzulässig (zu den Anforderungen ua. BAG 28. Januar 2009 – 4 AZR 912/07 – Rn. 11; 6. Januar 2004 – 9 AZR 680/02 – zu II 2 b der Gründe, BAGE 109, 145), da weder das konkrete Beweisthema angegeben, noch ausgeführt worden ist, welches (mutmaßliche) Ergebnis die Beweisaufnahme erbracht hätte.

35. III. Wegen der Erfolglosigkeit der Revision und der Anschlussrevision sind die Kosten des Revisionsverfahrens gemäß § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1 ZPO verhältnismäßig zu teilen.

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 12.3.2015, 6 AZR 82/14

Leitsätze

Ein formularmäßiger Klageverzicht in einem Aufhebungsvertrag, der zur Vermeidung einer vom Arbeitgeber angedrohten außerordentlichen Kündigung geschlossen wird, benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen iSv. § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, wenn ein verständiger Arbeitgeber die angedrohte Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte, die Drohung also widerrechtlich iSd. § 123 BGB ist.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 7. November 2013 – 16 Sa 879/13 – aufgehoben.

2. Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrags.

2. Der Kläger war seit August 2001 bei der Beklagten, die ein Unternehmen des Einzelhandels mit 500 Filialen und rund 25.000 Mitarbeitern betreibt, beschäftigt. Zuletzt war er als Erstkraft tätig. Kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung fanden auf das Arbeitsverhältnis die Tarifverträge des Einzelhandels Nordrhein-Westfalen Anwendung. § 11 Abs. 10 des Manteltarifvertrags für den Einzelhandel Nordrhein-Westfalen vom 25. Juli 2008 idF des Ergänzungs-TV vom 29. Juni 2011 (künftig MTV) bestimmt:

„Auflösungsverträge bedürfen der Schriftform. Jede der Parteien kann eine Bedenkzeit von drei Werktagen in Anspruch nehmen. Ein Verzicht hierauf ist schriftlich zu erklären.“

3. Am 28. Dezember 2012 führten der für den Kläger zuständige Filialleiter und die Bezirksleiterin der Beklagten mit dem Kläger ein Personalgespräch. Sie hielten ihm vor, dass er am Vortag zwei Fertigsuppen aus dem Lagerbestand der Beklagten entnommen und verzehrt habe, ohne sie in die Liste der Personalkäufe eingetragen oder bezahlt zu haben. Sie kündigten ihm an, die Beklagte werde wegen des Diebstahls der Suppen die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses erklären und Strafanzeige erstatten. Zudem habe der Kläger mit einer Sperre beim Bezug von Arbeitslosengeld zu rechnen. Die angekündigten Konsequenzen könne er vermeiden, wenn er einen von der Beklagten bereits fertig vorbereiteten Aufhebungsvertrag unterzeichne. Der Kläger bestritt die Vorwürfe, unterzeichnete jedoch am Ende des etwa anderthalbstündigen Personalgesprächs den Aufhebungsvertrag. Dieser unter dem Briefkopf der Zentrale der Beklagten in U mit dem Datum 27. Dezember 2012 erstellte Vertrag enthält ua. folgende Regelungen:

„1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass das bestehende Arbeitsverhältnis zum 28.12.2012 beendet wird.

8. Der Arbeitnehmer verzichtet ausdrücklich auf Bedenkzeit, die Möglichkeit eines Widerrufs sowie auf weitere Hinweise der Arbeitgeberin bezüglich etwaiger arbeits-, steuer- sowie sozialversicherungsrechtlicher Konsequenzen aus diesem Aufhebungsvertrag.

9. Die Vertragsparteien verzichten auf die Einlegung von Rechtsmitteln (Klage etc.).“

4. Mit Schreiben vom 28. Dezember 2012, das der Beklagten per Fax übermittelt wurde, focht der Kläger den Aufhebungsvertrag an. In diesem Schreiben seines späteren Prozessbevollmächtigten heißt es auszugsweise:

„Abgesehen davon, dass das gesamte Vorgehen Ihres Filialleiters und der Wortlaut des Aufhebungsvertrages bereits als sittenwidrig anzusehen ist und damit von Anfang an nichtig ist, fechte ich hiermit vorsorglich im Auftrage meines Mandanten die von ihm abgegebene Erklärung in der Form seiner Unterschrift unter den ihm vorgelegten Aufhebungsvertrag gemäß § 123 BGB an.

Wenn eine Willenserklärung in anfechtbarer Weise abgegeben worden ist und die Anfechtung erfolgt, so hat dies zur Folge, dass die Willenserklärung als von Anfang an nichtig und somit als nicht existent anzusehen ist, was dazu führt, dass der Aufhebungsvertrag rückwirkend unwirksam ist.“

5. Anschließend findet sich im Anfechtungsschreiben eine umfassende Darstellung, dass und warum die Drohung der Beklagten mit einer außerordentlichen Kündigung am 28. Dezember 2012 unberechtigt gewesen sei. Im Anschluss daran heißt es:

„Ausführungen zu den weiteren Punkten in dem Aufhebungsvertrag sind entbehrlich, da die Sittenwidrigkeit derart offensichtlich und eklatant ist.“

6. Im Folgenden wird in dem Schreiben dargelegt, dass aus Sicht des Klägers sein Filialleiter eine Möglichkeit gesucht habe, den Kläger „loszuwerden“. Das Anfechtungsschreiben schließt mit folgenden Ausführungen:

„Mein Mandant bietet seine Arbeitskraft hiermit ausdrücklich an. …“

7. Mit seiner am 10. Januar 2013 beim Arbeitsgericht eingegangenen, der Beklagten am 25. Januar 2013 zugestellten Klage begehrt der Kläger die Feststellung des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses. Er hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe weiter bestritten. Erstmals im Berufungsverfahren hat er sich auf das tarifliche Widerrufsrecht berufen und insoweit ausgeführt, die tarifliche Bedenkzeit sei gerade für eine plötzliche Konfrontation mit einem Aufhebungsvertrag wie im vorliegenden Fall geschaffen worden. Wenn dem Arbeitnehmer ein vom Arbeitgeber vorgefertigter Aufhebungsvertrag vorgelegt werde und darin zugleich ein Verzicht auf die tarifliche Bedenkzeit niedergelegt sei, so widerspreche das Sinn und Zweck der tariflichen Regelung eindeutig. Nach Sinn und Zweck der tariflichen Regelung müsse die tarifliche Bedenkzeit im Regelfall in Anspruch genommen werden können. Die Androhung einer fristlosen Kündigung sei angesichts des langjährig bestehenden, unbelasteten Arbeitsverhältnisses auch unangemessen und nicht vertretbar gewesen.

8. Der Kläger hat zuletzt beantragt festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien über den 28. Dezember 2012 hinaus fortbesteht.

9. Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags vorgetragen, mit dem Abschluss des Aufhebungsvertrags hätten die Parteien lediglich von der allgemeinen Vertragsfreiheit im Einklang mit dem für sie geltenden Tarifrecht Gebrauch gemacht. Aufgrund der von ihr angestellten Ermittlungen sei sie berechtigt gewesen, eine fristlose Kündigung anzudrohen.

10. Das Arbeitsgericht hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen. Es hat den Klageverzicht als rechtsunwirksam angesehen, den Verzicht auf das Widerrufsrecht dagegen für wirksam gehalten und angenommen, die Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung greife nicht durch, weil die Beklagte mit einer fristlosen Kündigung habe drohen dürfen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers der Klage stattgegeben. Es hat angenommen, der Kläger habe den Vertrag mit seinem Schreiben vom 28. Dezember 2012 wirksam widerrufen. Die Widerrufsverzichtsklausel in Ziffer 8 des Vertrags sei intransparent und benachteilige den Kläger unangemessen.

11. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel auf Abweisung der Klage weiter.

Entscheidungsgründe

12. Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat nicht berücksichtigt, dass der Kläger innerhalb der von § 11 Abs. 10 MTV eröffneten Frist von drei Tagen keinen Widerruf erklärt hat. Auf die Wirksamkeit des Verzichts auf einen Widerruf in Ziffer 8 des Aufhebungsvertrags vom 27. Dezember 2012 kommt es deshalb nicht an. Auf der Grundlage des bisher festgestellten Sachverhalts kann der Senat nicht selbst entscheiden, ob die Klageverzichtsklausel wirksam ist. Das wäre nur dann der Fall, wenn sie nicht unter dem Druck einer widerrechtlichen Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung vereinbart worden wäre. Dazu bedarf es noch weiterer Feststellungen des Landesarbeitsgerichts. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

13. I. Das Landesarbeitsgericht hat nicht geprüft, ob der Kläger von seinem tariflich eröffneten Widerrufsrecht überhaupt fristgerecht Gebrauch gemacht hat. Das rügt die Revision mit Recht. Der Senat kann diese Prüfung selbst vornehmen. Die maßgeblichen tatsächlichen Umstände sind unstreitig, weiter gehende Feststellungen stehen nicht zu erwarten. Der Kläger hat mit dem Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 28. Dezember 2012 den Aufhebungsvertrag nur nach § 123 BGB angefochten und sich auf die Sittenwidrigkeit dieses Vertrags berufen, nicht aber den nach § 11 Abs. 10 MTV möglichen Widerruf erklärt.

14. 1. Die wortgleichen Vorgängervorschriften des § 11 Abs. 10 MTV in § 9 Abs. 9 des Manteltarifvertrags für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen vom 13. Dezember 1980 sowie in § 10 Abs. 9 des Manteltarifvertrags vom 6. Juli 1989 hat das Bundesarbeitsgericht dahin ausgelegt, dass damit den Parteien eines Auflösungsvertrags das verzichtbare Recht eingeräumt werden sollte, den Vertrag innerhalb einer Frist von drei Werktagen zu widerrufen (BAG 24. Januar 1985 – 2 AZR 317/84 – zu I 1 der Gründe; 30. September 1993 – 2 AZR 268/93 – zu II 7 a der Gründe, BAGE 74, 281). Die Tarifvertragsparteien haben an dieser Regelung unverändert auch im 2008 abgeschlossenen MTV festgehalten und damit zu erkennen gegeben, dass dieses Verständnis der von ihnen getroffenen Regelung ihrem Willen entspricht. Das tarifliche Widerrufsrecht gilt für Verträge, durch die ein Arbeitsverhältnis aufgrund einer Willenseinigung der Parteien endet (BAG 24. Januar 1985 – 2 AZR 67/84 – zu A II 2 der Gründe), und damit auch für den Vertrag der Parteien vom 27. Dezember 2012.

15. 2. Anfechtung einer Willenserklärung und Widerruf einer auf den Abschluss eines Vertrags gerichteten Willenserklärung sind unterschiedliche rechtsgestaltende Erklärungen, die unterschiedlichen Voraussetzungen unterliegen und unterschiedliche Rechtsfolgen nach sich ziehen. Die Anfechtung muss innerhalb der gesetzlichen Frist des § 121 bzw. § 124 BGB erfolgen. Sie bedarf eines Anfechtungsgrundes und führt gemäß § 142 Abs. 1 BGB zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts ex tunc. Der Widerruf unterliegt anderen Fristen, hier der Drei-Tage-Frist des § 11 Abs. 10 MTV. Er bedarf keines Grundes. Die Willenserklärung ist bis zum Ablauf der tariflich eröffneten „Bedenkzeit“ nicht endgültig wirksam, sofern nicht der tariflich ebenfalls mögliche Verzicht auf den Widerruf erklärt wird. Das Widerrufsrecht nach § 11 Abs. 10 MTV schiebt das endgültige Zustandekommen des Vertrags bis zum Ablauf der Bedenkzeit hinaus (BAG 24. Januar 1985 – 2 AZR 317/84 – zu I 1 der Gründe für die wortgleiche Vorgängervorschrift in § 9 Abs. 9 MTV). Wird der Widerruf nach § 11 Abs. 10 MTV fristgerecht ausgeübt, wird der Aufhebungsvertrag nicht wirksam.

16. 3. Wegen dieser unterschiedlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen von Anfechtung und Widerruf genügt zur Ausübung des Widerrufs eine Erklärung, die lediglich erkennen lässt, dass der Erklärende an den Vertrag nicht mehr gebunden sein will, nicht (vgl. BGH 19. Januar 1973 – V ZR 115/70 – zu B 2 der Gründe). Vielmehr muss die Erklärung hinreichend deutlich machen, dass der Vertrag gerade wegen des Widerrufs nicht gelten solle (vgl. für den Widerruf nach § 178 BGB: BGH in st. Rspr. seit 22. Juni 1965 – V ZR 55/64 – zu I b der Gründe; BAG 31. Januar 1996 – 2 AZR 91/95 – zu II 1 der Gründe; für das Verhältnis von Widerruf nach dem HTürGG und nach § 178 BGB BGH 8. Mai 2006 – II ZR 123/05 – Rn. 22).

17. 4. Das Schreiben vom 28. Dezember 2012 lässt lediglich erkennen, dass der Aufhebungsvertrag wegen Sittenwidrigkeit und der erklärten Anfechtung nach § 123 BGB nichtig sein solle. Es setzt sich inhaltlich ausschließlich damit auseinander, dass die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung und einer Strafanzeige rechtswidrig gewesen sei. Daraus lässt sich nicht der erforderliche Wille entnehmen, Gebrauch von einem Widerrufsrecht zu machen. Das gilt umso mehr, weil der Kläger bei Abgabe der Anfechtungserklärung anwaltlich vertreten war (vgl. BGH 19. Januar 1973 – V ZR 115/70 – zu B 2 der Gründe). Rechtskundige sind bei den von ihnen abgegebenen Erklärungen grundsätzlich beim Wort zu nehmen (vgl. BFH 14. Juni 2011 – V B 24/10 – Rn. 14; für Prozesserklärungen: BAG 21. Februar 2013 – 6 AZR 524/11 – Rn. 36, BAGE 144, 263; vgl. auch BVerfG 25. Januar 2014 – 1 BvR 1126/11 – Rn. 26). Als Rechtsfolge ist im letzten Absatz auf Seite 1 des Schreibens vom 28. Dezember 2012 ausdrücklich angegeben, dass „die Willenserklärung von Anfang an nichtig“ und der „Aufhebungsvertrag rückwirkend unwirksam“ sei. An dieser allein auf eine Anfechtung sowie Sittenwidrigkeit des Vertrags zielenden Willensäußerung muss sich der Kläger festhalten lassen. Der erforderliche Widerrufswille fehlte auch deshalb, weil dem späteren Prozessbevollmächtigten des Klägers im Zeitpunkt der Erstellung des Schreibens vom 28. Dezember 2012 das tarifliche Widerrufsrecht offensichtlich nicht bekannt war. Er hat es in der Klageschrift und im gesamten erstinstanzlichen Verfahren nicht angesprochen. Das Widerrufsrecht ist erstmals im Urteil des Arbeitsgerichts erwähnt und im Berufungsrechtszug vom Prozessbevollmächtigten des Klägers aufgegriffen worden.

18. II. Der Rechtsstreit ist nicht zur Entscheidung reif. Der Senat kann aufgrund der durch das Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen nicht selbst abschließend prüfen, ob die Klageverzichtsklausel in Ziffer 9 des Vertrags vom 27. Dezember 2012 wirksam ist und die Klage deshalb als unzulässig abzuweisen ist. Ein formularmäßiger Klageverzicht in einem Aufhebungsvertrag, der zur Vermeidung einer vom Arbeitgeber angedrohten außerordentlichen Kündigung geschlossen wird, benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen iSv. § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, wenn ein verständiger Arbeitgeber die angedrohte Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Dazu fehlt es an Feststellungen.

19. 1. Grundsätzlich können sich die Parteien eines (künftigen) Prozesses vertraglich zu jedem rechtlich möglichen Verhalten verpflichten, sofern dieses nicht gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt. Unter diesen Voraussetzungen ist auch die vertragliche Verpflichtung, eine bestimmte Klage nicht zu erheben, möglich und wirksam. Wird unter Missachtung einer solchen wirksam eingegangenen Verpflichtung zu einem bestimmten prozessualen Verhalten Klage erhoben, ist diese als unzulässig abzuweisen (vgl. BGH 21. Dezember 2005 – VIII ZR 108/04 – Rn. 19 mwN, Rn. 21; 10. Oktober 1989 – VI ZR 78/89 – zu II 2 e der Gründe, BGHZ 109, 19; zum Streitstand für den Verzicht auf die Kündigungsschutzklage BAG 25. September 2014 – 2 AZR 788/13 – Rn. 11).

20. 2. Auf der Grundlage der Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann der Senat nicht selbst entscheiden, ob der Klageverzicht in Ziffer 9 des Aufhebungsvertrags der Parteien mit § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB und damit mit höherrangigem Recht in Einklang steht.

21. a) Das Landesarbeitsgericht hat allerdings mit zutreffenden Erwägungen angenommen, dass es sich bei Ziffer 9 des Vertrags vom 27. Dezember 2012 um eine grundsätzlich kontrollfähige Nebenabrede handelt.

22. aa) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, bei den einzelnen Klauseln des Aufhebungsvertrags vom 27. Dezember 2012 handele es sich jedenfalls um Einmalbedingungen iSv. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB und damit um Allgemeine Geschäftsbedingungen. Die Revision erhebt insoweit keine Rügen.

23. bb) Formularmäßige Abreden, die Art und Umfang der vertraglichen Hauptleistung und der hierfür zu zahlenden Vergütung unmittelbar bestimmen, sind aus Gründen der Vertragsfreiheit gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB regelmäßig von der gesetzlichen Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ausgenommen (st. Rspr., vgl. nur BAG 27. November 2003 – 2 AZR 135/03 – zu B IV 3 der Gründe mwN, BAGE 109, 22; BGH 14. Oktober 1997 – XI ZR 167/96 – zu I 2 a der Gründe, BGHZ 137, 27; vgl. auch BT-Drs. 7/3919 S. 22; zur Kontrollfähigkeit eines von § 4 Satz 1 iVm. § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG abweichenden Klageverzichts vgl. BAG 25. September 2014 – 2 AZR 788/13 – Rn. 21). Darum unterliegt in einem Aufhebungsvertrag die Beendigungsvereinbarung als solche ebenso wenig einer Angemessenheitskontrolle (BAG 8. Mai 2008 – 6 AZR 517/07 – Rn. 22) wie eine als Gegenleistung für die Zustimmung des Arbeitnehmers zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses etwaig gezahlte Abfindung (zu diesem Synallagma vgl. BAG 10. November 2011 – 6 AZR 357/10 – Rn. 18, BAGE 139, 376; zur Kontrollfreiheit der Abfindung BAG 21. Juni 2011 – 9 AZR 203/10 – Rn. 42, BAGE 138, 136).

24. cc) Das Landesarbeitsgericht hat aber rechtsfehlerfrei angenommen, dass Ziffer 9 des Aufhebungsvertrags eine kontrollfähige Nebenabrede enthält. Gegenleistung für die Zustimmung des Klägers zum Aufhebungsvertrag war allein der Verzicht der Beklagten auf die in Aussicht gestellte außerordentliche Kündigung und Strafanzeige. Alle weiteren Klauseln des Vertrags zu den übrigen, im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses stehenden noch regelungsbedürftigen Fragen unterliegen als Nebenabreden in vollem Umfang der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB, wobei allerdings die Besonderheiten des Arbeitsrechts zu berücksichtigen sind (BAG 21. Juni 2011 – 9 AZR 203/10 – Rn. 42, BAGE 138, 136; ErfK/Preis 15. Aufl. §§ 305 bis 310 BGB Rn. 77; Stoffels Anm. NJW 2012, 103, 107, 108; Däubler Anm. AP BGB § 307 Nr. 53 zu III 1). Dies rechtfertigt sich daraus, dass der Arbeitnehmer seine Abschlussentscheidung von solchen Nebenpunkten im Allgemeinen nicht abhängig macht (WLP/Stoffels 6. Aufl. ArbR Rn. 95).

25. b) Das Landesarbeitsgericht hat jedoch die zur Prüfung der Wirksamkeit des Verzichts auf die Klage erforderlichen Feststellungen nicht getroffen.

26. aa) Der Klageverzicht verwehrt dem Kläger dauerhaft das Recht, die Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrags gerichtlich geltend zu machen. Er kann zwar die von ihm abgegebene Willenserklärung gegenüber der Beklagten anfechten. Die Anfechtung bleibt jedoch ohne die Möglichkeit, ihre Wirksamkeit auch gerichtlich inhaltlich überprüfen lassen zu können, wirkungslos. Im Ergebnis nimmt Ziffer 9 ihm damit die Möglichkeit, den Vertrag rechtlich durchsetzbar anzufechten.

27. bb) Ein solcher formularmäßiger Klageverzicht in einem Aufhebungsvertrag, der zur Vermeidung einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitgebers geschlossen wird, ist mit dem gesetzlichen Leitbild nur dann zu vereinbaren, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung ernsthaft in Erwägung ziehen durfte und die Drohung deshalb nicht widerrechtlich ist. Anderenfalls benachteiligt der Verzicht den Arbeitnehmer unangemessen iSv. § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB.

28. (1) § 123 BGB gewährleistet, dass eine Willenserklärung, die nicht Ausdruck freier rechtsgeschäftlicher Selbstbestimmung ist, der Anfechtung unterliegt, und schützt so die rechtsgeschäftliche Entschließungsfreiheit (BGH 21. September 2011 – IV ZR 38/09 – Rn. 28). Die Rechtsordnung stellt dem Anfechtenden für den Fall, dass er sich zur Rechtsverfolgung entschließt, ihre Autorität und Macht zur Verfügung, um ihm sein Recht zu verschaffen. Sie gibt ihm deshalb die Möglichkeit, zur Durchsetzung des Anfechtungsrechts zu klagen (vgl. Larenz Lehrbuch des Schuldrechts Bd. I Allgemeiner Teil 14. Aufl. S. 19 zur Durchsetzbarkeit von Forderungen).

29. (2) Bei einer Klageverzichtsklausel in einem unter dem Druck der Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung geschlossenen Aufhebungsvertrag ist zu differenzieren.

30. (a) Nach dem gesetzlichen Regelungskonzept ist eine nach § 123 BGB anfechtbar zustande gekommene Willenserklärung nur dann nichtig, wenn sie innerhalb der – gegenüber den anderen Anfechtungstatbeständen des BGB verlängerten – Anfechtungsfrist des § 124 BGB angefochten wird. Der Getäuschte oder Bedrohte kann sich also entscheiden, ob er die Willenserklärung ungeachtet ihres rechtswidrigen Zustandekommens gegen sich gelten lassen will (Erman/Arnold BGB 14. Aufl. § 123 Rn. 1). Ein Verzicht auf das Anfechtungsrecht ist darum nach der anfechtbaren Handlung ohne Weiteres möglich (vgl. BAG 21. Februar 1991 – 2 AZR 449/90 – zu II 4 c der Gründe; BGH 1. April 1992 – XII ZR 20/91 – zu 2 der Gründe; Erman/Arnold aaO Rn. 59).

31. (b) Erklärt der Arbeitnehmer in einem Aufhebungsvertrag, der zur Vermeidung einer außerordentlichen Kündigung geschlossen wird, einen Klageverzicht, wird dieser Verzicht – wie die übrigen Bestimmungen des Vertrags – mit der Unterzeichnung der zweiten Vertragspartei wirksam. In einem solchen Fall, in dem der Verzicht Teil des anfechtbaren Rechtsgeschäfts ist, lassen sich die Drohung mit der Kündigung und der Klageverzicht rechtlich (und tatsächlich) letztlich nicht trennen. Auch der Verzicht ist unter dem Druck der Drohung erklärt. Das Gesetz sieht mit § 123 BGB aber eine, wie ausgeführt, auch gerichtlich durchsetzbare Möglichkeit vor, sich von der unter diesem Druck zustande gekommenen Erklärung wieder zu lösen. Dies trägt der Erkenntnis Rechnung, dass der unter dem Druck einer Drohung Handelnde aufgrund der Zwangslage keine Möglichkeit hat, sich in zumutbarer Weise selbst zu schützen (vgl. Staudinger/Singer/von Finckenstein (2012) § 123 Rn. 64). Mit diesem der gesetzlichen Regelung zugrundeliegenden Gerechtigkeitsgehalt ist es nicht zu vereinbaren, wenn sich der Verwender durch eine in den Aufhebungsvertrag aufgenommene Klageverzichtsklausel die Möglichkeit verschafft, Vorteile aus einer widerrechtlichen Drohung zu ziehen, ohne eine Rückabwicklung befürchten zu müssen. Einem solchen Verhalten muss die Rechtsordnung ihren Schutz versagen.

32. (c) Der Klageverzicht im Aufhebungsvertrag vom 27. Dezember 2012 benachteiligt den Kläger darum nur dann nicht unangemessen iSv. § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, wenn die Drohung mit der außerordentlichen Kündigung nach gerichtlicher Feststellung nicht widerrechtlich war (zu den diesbezüglichen Anforderungen BAG 28. November 2007 – 6 AZR 1108/06 – Rn. 48 f., BAGE 125, 70). Letztlich kann der Arbeitgeber durch eine Klageverzichtsklausel, die Teil eines der AGB-Kontrolle unterliegenden Aufhebungsvertrags ist, eine gerichtliche Prüfung der durch den Arbeitnehmer erklärten Anfechtung damit nicht verhindern.

33. cc) Das Landesarbeitsgericht hat – ausgehend von seinem rechtlichen Standpunkt konsequent – keine Feststellungen zur Widerrechtlichkeit der Drohung getroffen. Der Senat kann darum nicht selbst feststellen, ob der Klageverzicht nach vorstehend entwickelten Maßstäben wirksam ist. Die Zurückverweisung gibt dem Landesarbeitsgericht die Möglichkeit, die fehlenden Feststellungen zu treffen.

Pressemitteilung Nr. 37/15

Ist bei einer Kündigung gegenüber einer Arbeitnehmerin aufgrund von ihr vorgetragener Indizien eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Lebensalters nach § 22 AGG zu vermuten und gelingt es dem Arbeitgeber nicht, diese Vermutung zu widerlegen, ist die Kündigung auch im Kleinbetrieb unwirksam.

Die am 20. Januar 1950 geborene Klägerin war bei der beklagten Gemeinschaftspraxis seit dem 16. Dezember 1991 als Arzthelferin beschäftigt. In der Praxis waren im Jahr 2013 noch vier jüngere Arbeitnehmerinnen tätig. Die Klägerin war zuletzt überwiegend im Labor eingesetzt. Die Gesellschafter der Beklagten kündigten ihr Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 24. Mai 2013 zum 31. Dezember 2013 wegen Veränderungen im Laborbereich, welche eine Umstrukturierung der Praxis erforderten. Dabei führten sie an, die Klägerin sei „inzwischen pensionsberechtigt“. Den anderen Beschäftigten wurde nicht gekündigt. Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin gegen die Wirksamkeit der Kündigung und verlangt eine Entschädigung wegen Altersdiskriminierung. Das Kündigungsschreiben lasse eine Benachteiligung wegen ihres Alters vermuten. Nach Darstellung der Beklagten sollte die Kündigung lediglich freundlich und verbindlich formuliert werden. Die Kündigung sei wegen eines zu erwartenden Entfalls von 70 bis 80 % der abrechenbaren Laborleistungen erfolgt. Die Klägerin sei mit den übrigen Arzthelferinnen nicht vergleichbar, weil sie schlechter qualifiziert sei. Deshalb sei ihr gekündigt worden.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Die Kündigung verstößt gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG und ist deshalb unwirksam. Die Beklagte hat keinen ausreichenden Beweis dafür angeboten, dass die wegen der Erwähnung der „Pensionsberechtigung“ zu vermutende Altersdiskriminierung nicht vorliegt. Ob und ggf. in welcher Höhe der Klägerin der geltend gemachte Entschädigungsanspruch zusteht, kann noch nicht festgestellt werden. Die Sache wurde insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

 

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 23. Juli 2015 – 6 AZR 457/14 –

Vorinstanz: Sächsisches Landesarbeitsgericht
Urteil vom 9. Mai 2014 – 3 Sa 695/13 –

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 18.6.2015, 2 AZR 480/14

Leitsätze

1. § 17 Nr. 6.2 MTV Stahl Ost schließt das Recht zur außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist aus betrieblichen Gründen weder komplett aus, noch bindet er es an das Vorliegen eines Sozialplans oder an die Zustimmung der Tarifvertragsparteien.

2. Der Arbeitgeber muss grundsätzlich auch dann nicht von einem „Outsourcing“ absehen, wenn dadurch einem Arbeitsverhältnis die Grundlage entzogen wird, das ordentlich nicht mehr kündbar ist. Die Vergabe der Aufgaben (nur) eines einzelnen – ordentlich unkündbaren – Arbeitnehmers an ein Drittunternehmen ist nicht schon per se rechtsmissbräuchlich.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 8. Januar 2014 – 4 Sa 1509/13, 4 Sa 2050/13 – im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, wie es ihre Berufung gegen die Entscheidung über die Kündigungsschutzanträge in dem Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt (Oder) vom 8. August 2013 – 2 Ca 441/13 – zurückgewiesen hat.

2. Im Übrigen wird die Revision als unzulässig verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher Kündigungen und Zahlungsansprüche der Klägerin.

2. Die 1959 geborene Klägerin ist seit 1983 als EDV-Organisatorin in dem von der Beklagten geführten Betrieb beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Bindung an einen Anerkennungstarifvertrag der Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden der Eisen- und Stahlindustrie Ost (MTV Stahl Ost) vom 25. März 1991 Anwendung. Dieser bestimmt in seinem § 17:

„…

6.2 Einem Arbeitnehmer, der das 50. Lebensjahr vollendet hat und dem Betrieb oder Unternehmen mindestens 15 Jahre angehört, kann nur noch aus in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers liegendem wichtigen Grund oder bei Vorliegen eines Sozialplans oder bei Zustimmung der Tarifvertragsparteien gekündigt werden.

8. Im Übrigen gelten für ordentliche Kündigungen die gesetzlichen Bestimmungen. Die gesetzlichen Bestimmungen über fristlose Kündigungen bleiben unberührt.“

3. Die Beklagte erklärte in den Jahren 2011 und 2012 zunächst zwei auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützte ordentliche Kündigungen und sodann eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung aus Gründen im Verhalten der Klägerin. Sämtliche Kündigungen wurden gerichtlich für unwirksam befunden. Seit dem 1. Januar 2012 wird die Klägerin tatsächlich nicht mehr beschäftigt.

4. In der Folgezeit forderte die Beklagte vergeblich den bei ihr gebildeten Betriebsrat zu Sozialplanverhandlungen und die zuständige Gewerkschaft zur Zustimmung zu einer weiteren ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses auf. Im Anschluss daran sprach sie – jeweils nach Anhörung des Betriebsrats – mit Schreiben vom 27. Februar 2013 und 27. März 2013 eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist zum 30. September 2013 bzw. eine solche zum 31. Oktober 2013 aus; hilfsweise erklärte sie jeweils ordentliche Kündigungen zu diesen Terminen.

5. Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin sich rechtzeitig gegen die Kündigungen vom 27. Februar 2013 und 27. März 2013 gewandt. Angebote zur Beschäftigung bei anderen Konzerngesellschaften in S (ab Dezember 2012) und E (ab April 2013) bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über ihre Anträge lehnte sie ab. Die Klägerin hat gemeint, der MTV Stahl Ost schließe außerordentliche betriebsbedingte Kündigungen komplett aus und lasse ordentliche Kündigungen aus dringenden betrieblichen Erfordernissen nur bei Vorliegen eines Sozialplans oder mit Zustimmung beider Tarifvertragsparteien zu. Für die außerordentlichen Kündigungen fehle im Übrigen ein wichtiger Grund iSv. § 626 BGB. Die von der Beklagten behaupteten, allein ihren Arbeitsplatz betreffenden Organisationsentscheidungen könnten schon deshalb nicht anerkannt werden, weil sie in Reaktion auf das Unterliegen in den vorangegangenen Kündigungsschutzprozessen getroffen worden seien. Sollte eine der streitgegenständlichen Kündigungen für wirksam erachtet werden, könne sie ihre Wiedereinstellung verlangen. Für die Monate August 2012 bis einschließlich Mai 2013 stehe ihr Annahmeverzugsvergütung zu. Es sei ihr nicht zuzumuten gewesen, vorübergehend in S oder E tätig zu werden. Nach Erreichen einer Beschäftigungsdauer von 30 Jahren am 28. Februar 2013 habe sie aus einer entsprechenden Betriebsvereinbarung Anspruch auf eine Jubiläumszuwendung.

6. Die Klägerin hat zuletzt sinngemäß beantragt

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigungen der Beklagten vom 27. Februar und 27. März 2013 nicht aufgelöst worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 41.798,40 Euro brutto abzüglich 15.834,00 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach im Einzelnen bezeichneter Staffelung zu zahlen;

3. die Beklagte zu verurteilen, an sie 255,65 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. März 2013 zu zahlen;

4. hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, ein Angebot auf Abschluss eines Arbeitsvertrags als EDV-Organisatorin zu den Konditionen des zwischen den Parteien bis zum 30. September 2013 bestehenden Arbeitsverhältnisses mit Wirkung ab dem 1. Oktober 2013 anzunehmen.

7. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, der MTV Stahl Ost schränke das Recht zur außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung nicht ein. Ein wichtiger Grund liege vor. Das Arbeitsverhältnis der Parteien sei sinnentleert. Die Klägerin könne nicht mehr beschäftigt werden. Hierzu hat die Beklagte behauptet, sie habe im Vorfeld der Kündigung vom 27. Februar 2013 beschlossen, etwa 10 % der Aufgaben der Klägerin auf einen anderen Arbeitnehmer, den EDV-Beauftragten, zu übertragen und die restlichen Tätigkeiten nach außen zu vergeben. Vor Ausspruch der Kündigung vom 27. März 2013 habe sie entschieden, die Arbeiten der Klägerin gänzlich auf ein externes Unternehmen zu verlagern. Anderweitige Möglichkeiten, die Klägerin einzusetzen, bestünden nicht. Eine dauerhafte Beschäftigung bei einer anderen Konzerngesellschaft könne sie – die Beklagte – nicht durchsetzen. Die Klägerin könne auch keine Wiedereinstellung verlangen. Der EDV-Beauftragte habe erst zum 31. Dezember 2013 gekündigt. Zudem seien seine Tätigkeiten daraufhin ebenfalls an ein Drittunternehmen vergeben worden. Annahmeverzugsvergütung stehe der Klägerin aufgrund der Beschäftigungsangebote für die Zwischenzeit jedenfalls ab Dezember 2012 nicht mehr zu. Eine Jubiläumszuwendung sei nicht geschuldet, weil das Arbeitsverhältnis am Stichtag bereits gekündigt gewesen sei.

8. Die Vorinstanzen haben den Hauptanträgen – soweit noch von Interesse – stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte das Ziel weiter, die Klage insgesamt abzuweisen.

Entscheidungsgründe

9. Die Revision ist bezüglich der Zahlungsanträge unzulässig. Hinsichtlich der Kündigungsschutzanträge ist sie zulässig und begründet. Insoweit führt sie zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte dieses den Kündigungsschutzanträgen nicht stattgeben. Ob eine der außerordentlichen Kündigungen das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst hat, steht noch nicht fest.

10. A. Soweit die Beklagte sich gegen ihre Verurteilung zur Zahlung von Vergütung und Jubiläumsgeld wendet, ist ihre Revision unzulässig. Sie ist insoweit nicht in der gesetzlich gebotenen Form begründet worden.

11. I. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe. Bei einer Sachrüge muss die Revisionsbegründung den vermeintlichen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Sie muss dazu eine Auseinandersetzung mit den tragenden Argumenten des angefochtenen Urteils enthalten. Dies erfordert die konkrete Darlegung der Gründe, aus denen das Urteil rechtsfehlerhaft sein soll. Bei mehreren Streitgegenständen muss grundsätzlich für jeden eine solche Begründung gegeben werden. Fehlt sie zu einem Streitgegenstand, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig. Eine eigenständige Begründung ist nur dann nicht erforderlich, wenn die Entscheidung über den einen Streitgegenstand notwendig von der Entscheidung über den anderen abhängt. Mit der Begründung der Revision über den einen Streitgegenstand ist dann zugleich dargelegt, dass die Entscheidung über den anderen unrichtig ist (BAG 21. November 2013 – 2 AZR 598/12 – Rn. 15 mwN, BAGE 146, 353).

12. II. Das Landesarbeitsgericht hat der Klägerin Annahmeverzugsvergütung für die Monate August 2012 bis einschließlich Mai 2013 zuerkannt. Es hat gemeint, sie habe keinen Zwischenerwerb böswillig iSv. § 11 Satz 1 KSchG unterlassen. Eine vorübergehende Tätigkeit in S oder E sei ihr nicht zumutbar gewesen, weil sie dafür ihren Lebensmittelpunkt hätte verlegen müssen. Diese Argumentationslinie hat die Beklagte offensichtlich nicht einmal zur Kenntnis genommen, wenn sie ihre Revision einzig damit begründet, dass die Klägerin gemäß § 106 GewO ohnehin bundesweit habe eingesetzt werden können. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung nicht darauf gestützt, der Klägerin seien „vertragsfremde“ Einsätze angeboten worden. Eine eigenständige Begründung war nicht deshalb entbehrlich, weil die Zahlungsansprüche der Klägerin von dem Schicksal der Kündigungsschutzanträge abhingen. Die streitgegenständlichen Kündigungen sollten frühestens zum 30. September 2013 greifen. Sie konnten den Bestand des Arbeitsverhältnisses der Parteien bis einschließlich Mai 2013 nicht in Frage stellen.

13. III. Mit dem Anspruch der Klägerin auf eine Jubiläumszuwendung befasst sich die Revision überhaupt nicht. Das wäre indes erforderlich gewesen. Der Anspruch bestand nach der Begründungslinie des Landesarbeitsgerichts ebenfalls unabhängig vom Schicksal der Kündigungsschutzanträge. Das Berufungsgericht hat gemeint, nach der maßgeblichen Betriebsvereinbarung bestehe ein Anspruch auf die Jubiläumszuwendung auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis an dem Stichtag bereits – wirksam – gekündigt sei. Es hat sich der Auffassung des Arbeitsgerichts angeschlossen, dass es allein auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses am Stichtag ankomme. Vor dem 1. März 2013 konnte dieses durch die frühestens zum 30. September 2013 wirkenden Kündigungen nicht aufgelöst worden sein. Wenn das Arbeitsgericht von „Kündigungen“ gesprochen hat, die das Arbeitsverhältnis – mit der Folge seines Bestands am 1. März 2013 – „nicht aufgelöst“ hätten, meinte es die vorangegangenen Kündigungen aus den Jahren 2011 und 2012.

14. B. Soweit die Klägerin mit ihren Kündigungsschutzanträgen obsiegt hat, ist die Revision der Beklagten zulässig und begründet.

15. I. Was die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über die Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigungen vom 27. Februar und 27. März 2013 betrifft, ist es unschädlich, dass die Revision insoweit nicht eigens begründet wurde. Würde die gegen die außerordentliche Kündigung vom 27. Februar 2013 gerichtete Klage abgewiesen, wäre zugleich die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über die anderen Kündigungsschutzanträge hinfällig. Sollte diese Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. September 2013 aufgelöst haben, fielen – materiell-rechtlich – die weiteren Kündigungserklärungen und – prozessrechtlich – die entsprechenden Kündigungsschutzanträge samt der zu ihnen ergangenen gerichtlichen Entscheidungen fort. Die Beklagte hat alle weiteren Kündigungen nur hilfsweise für den Fall erklärt, dass das Arbeitsverhältnis nicht bereits aufgrund einer „vorangegangenen“ Kündigung aufgelöst worden ist. Die Klägerin will sich gegen die weiteren Kündigungen lediglich zur Wehr setzen, wenn das Arbeitsverhältnis nicht schon durch eine „vorherige“ Kündigung geendet hat (zu den materiell- und prozessrechtlichen Abhängigkeiten bei im Haupt- und Hilfsverhältnis ausgesprochenen Kündigungen vgl. BAG 21. November 2013 – 2 AZR 598/12 – Rn. 16 ff. mwN, BAGE 146, 353; zu den materiell-rechtlichen Verknüpfungen und deren Folgen für die Revisionsbegründung siehe schon BAG 5. Oktober 1995 – 2 AZR 909/94 – zu II 1 der Gründe, BAGE 81, 111).

16. II. Die Revision ist bezüglich aller Kündigungsschutzanträge begründet. Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht die außerordentliche Kündigung vom 27. Februar 2013 nicht für unwirksam erachten. Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch diese Kündigung aufgelöst worden ist, steht noch nicht fest. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Dieses wird den Parteien Gelegenheit zu weiterem Vortrag zu eröffnen und ggf. weitere Feststellungen zu treffen haben.

17. 1. Die Begründung, mit der das Landesarbeitsgericht die außerordentliche Kündigung vom 27. Februar 2013 für unwirksam befunden hat, trägt nicht.

18. a) Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, die außerordentliche Kündigung vom 27. Februar 2013 sei unwirksam, weil es an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB fehle. Durch die Vergabe allein der Tätigkeiten der Klägerin habe die Beklagte deren Weiterbeschäftigung gezielt unmöglich gemacht. Nach dem Rechtsgedanken des § 162 BGB dürfe sie sich nicht auf eine selbst herbeigeführte Sinnentleerung des Arbeitsverhältnisses berufen.

19. b) Gegen diese Begründung wendet die Revision sich zu Recht.

20. aa) Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung eines ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers iSv. § 626 Abs. 1 BGB kann sich – ebenso wie ein dringendes betriebliches Erfordernis iSv. § 1 Abs. 2 KSchG – aus dem dauerhaften Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit aufgrund innerbetrieblicher, von äußeren Faktoren nicht „erzwungener“ Maßnahmen ergeben (vgl. BAG 20. Juni 2013 – 2 AZR 379/12 – Rn. 18 ff. mwN, BAGE 145, 265). Der Arbeitgeber muss regelmäßig auch dann nicht von einer Fremdvergabe von Tätigkeiten absehen, wenn dadurch einem ordentlich nicht mehr kündbaren Arbeitsverhältnis die Grundlage entzogen wird. Dabei kann es unter Geltung von Art. 12 Abs. 1 GG ohnehin nicht darum gehen, ihm die fragliche organisatorische Maßnahme als solche gerichtlich zu untersagen, sondern nur darum, ob ihre tatsächliche Umsetzung eine Kündigung rechtfertigt. In keinem Fall ist schon die unternehmerische Maßnahme als solche (tariflich) ausgeschlossen. Der tarifvertragliche Sonderkündigungsschutz schränkt nicht die Freiheit des Arbeitgebers ein, Umstrukturierungen vorzunehmen, mit denen der Verlust von Arbeitsplätzen verbunden ist. Er erhöht allerdings erheblich die Anforderungen an die Bemühungen, gleichwohl die – anderweitige – Beschäftigung des Arbeitnehmers zu ermöglichen (zur ausführlichen Begründung siehe BAG 20. Juni 2013 – 2 AZR 379/12 – Rn. 18 ff., aaO; 22. November 2012 – 2 AZR 673/11 – Rn. 15 ff. jeweils mwN).

21. bb) Diese Grundsätze hat das Landesarbeitsgericht verkannt. Weder stellt der Verzicht auf eine vom Arbeitgeber beschlossene Organisationsentscheidung eine „geeignete andere Maßnahme“ zur Vermeidung einer außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung dar, noch ist die Vergabe der Aufgaben (nur) eines Arbeitnehmers an ein Drittunternehmen per se rechtsmissbräuchlich iSv. § 242 BGB (vgl. BAG 20. Juni 2013 – 2 AZR 380/12 – Rn. 25; 26. September 2002 – 2 AZR 636/01 – zu II 1 e aa der Gründe, BAGE 103, 31). Um einen darin liegenden Missbrauch darzutun, bedarf es vielmehr weiterer einschlägiger Umstände.

22. 2. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif. Die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 27. Februar 2013 kann nicht abschließend beurteilt werden. Ob es auf die ordentliche Kündigung gleichen Datums oder die beiden Kündigungen vom 27. März 2013 ankommen und insbesondere die zweite außerordentliche Kündigung sich ggf. als wirksam erweisen wird, steht damit ebenfalls noch nicht fest.

23. a) Der Senat kann die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 27. Februar 2013 nicht abschließend beurteilen.

24. aa) Zwar ist sie mit der notwendigen, der – fiktiven – ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist erklärt (vgl. dazu BAG 20. Juni 2013 – 2 AZR 379/12 – Rn. 17 mwN, BAGE 145, 265; 18. März 2010 – 2 AZR 337/08 – Rn. 17), ist der Betriebsrat vor ihrem Ausspruch korrekt nach den für ordentliche Kündigungen gemäß § 102 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1, 2 BetrVG geltenden Grundsätzen angehört und ist die bei einem „Dauertatbestand“ stets von Neuem beginnende (vgl. BAG 20. Juni 2013 – 2 AZR 379/12 – Rn. 32, aaO; 22. November 2012 – 2 AZR 673/11 – Rn. 28) Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt worden.

25. bb) Auch schließt § 17 MTV Stahl Ost das Recht zur außerordentlichen Kündigung aus betriebsbedingten Gründen mit notwendiger Auslauffrist weder gänzlich aus, noch schränkt er es ein.

26. (1) Beides folgt aus § 17 Nr. 8 MTV Stahl Ost. Gemäß Satz 1 der Vorschrift gelten „im Übrigen“ für ordentliche Kündigungen die gesetzlichen Bestimmungen. Nach ihrem Satz 2 bleiben die gesetzlichen Bestimmungen über „fristlose“ Kündigungen „unberührt“. Die Gegenüberstellung beider Sätze zeigt, dass die Tarifvertragsparteien den Ausdruck „fristlos“ nicht als Pendant zu „fristgerecht“, sondern als Pendant zu „ordentlich“ und damit als „außerordentlich“ iSv. § 626 Abs. 1 BGB verstanden haben. Der Ausdruck erfasst auch eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist. Das folgt daraus, dass auch eine nach § 17 Nr. 6.2 MTV Stahl Ost ausdrücklich mögliche personenbedingte außerordentliche Kündigung kaum jemals als fristlose in Betracht kommen dürfte (vgl. BAG 20. März 2014 – 2 AZR 288/13 – Rn. 26). Da die gesetzlichen Bestimmungen über außerordentliche Kündigungen – anders als die für ordentliche Kündigungen – nicht nur „im Übrigen“ gelten, sondern „unberührt“ bleiben, ist zugleich klargestellt, dass außerordentliche betriebsbedingte Kündigungen nicht an einschränkende Voraussetzungen – etwa das Vorliegen eines Sozialplans oder die Zustimmung beider Tarifvertragsparteien – gebunden sein sollen. § 17 Nr. 6.2 MTV Stahl Ost erwähnt die Kündigung aus betriebsbedingtem wichtigen Grund ersichtlich allein deshalb nicht, weil eine ordentliche Kündigung aus dringenden betrieblichen Erfordernissen – anders als verhaltens- und personenbedingte ordentliche Kündigungen – nicht komplett ausgeschlossen, sondern „lediglich“ an die benannten Voraussetzungen gebunden ist.

27. (2) In Anbetracht der Regelungen des § 17 Nr. 8 MTV Stahl Ost kann dahinstehen, ob der vollständige Ausschluss des Rechts zur außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung verfassungsrechtlich bedenklich wäre (vgl. insofern schon BAG 5. Februar 1998 – 2 AZR 227/97 – zu II 2 b der Gründe, BAGE 88, 10). Ebenso kann offenbleiben, ob im Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG nicht besondere Anhaltspunkte für den Willen der Tarifvertragsparteien zu einer auch nur erheblichen Einschränkung dieses Rechts erforderlich wären. Diese fehlen regelmäßig, wenn eine solche Einschränkung – wie hier – „lediglich“ an die Dauer der Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter des Arbeitnehmers anknüpft, und es sich nicht um eine – zeitlich begrenzte – Gegenleistung des Arbeitgebers für einen Verzicht der Arbeitnehmer auf bestimmte Rechtsansprüche handelt (vgl. BAG 20. Juni 2013 – 2 AZR 379/12 – Rn. 21, BAGE 145, 265 für den Ausschluss des Rechts zur außerordentlichen Kündigung und den Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit aufgrund innerbetrieblicher Maßnahmen des Arbeitgebers).

28. cc) Schließlich muss der Arbeitgeber unter Geltung des § 17 Nr. 6.2 MTV Stahl Ost auch nicht einer ordentlichen Kündigung aus dringenden betrieblichen Erfordernissen den Vorzug vor einer außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung mit Auslauffrist geben. Er muss deshalb nicht zunächst versuchen, einen Sozialplan abzuschließen oder die Zustimmung der Tarifvertragsparteien einzuholen. Beide Kündigungsformen stehen nach ihrer Ausgestaltung im MTV Stahl Ost vielmehr alternativ nebeneinander. Die beiden nicht ausgeschlossenen Möglichkeiten der ordentlichen Kündigung aus dringenden betrieblichen Erfordernissen stellen nach den tariflichen Vorgaben nicht gleich wirksame Gestaltungsmittel dar. Für die Erteilung der Zustimmung der Tarifvertragsparteien sind keine abstrakten Maßstäbe festgelegt. Es ist auch kein zeitlicher Rahmen vorgesehen, innerhalb dessen diese über ein an sie herangetragenes Gesuch zu befinden hätten (vgl. BAG 20. März 2014 – 2 AZR 288/13 – Rn. 32). Einen Sozialplan kann der Arbeitgeber nach §§ 111 ff. BetrVG nur unter bestimmten – hier nicht erfüllten – Voraussetzungen und dann auch lediglich über den langwierigen Weg eines Einigungsstellenverfahrens (§ 112 Abs. 4 BetrVG) erzwingen. Es kommt deshalb nicht darauf an, dass die Beklagte bereits vor Ausspruch der Kündigungen vom 27. Februar 2013 ohnehin erfolglos versucht hatte, sowohl mit dem Betriebsrat einen Sozialplan auszuhandeln als auch die Zustimmung der zuständigen Gewerkschaft zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin einzuholen.

29. dd) Jedoch ist offen, ob ein betriebsbedingter wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB besteht.

30. (1) Eine auf betriebliche Gründe gestützte außerordentliche Kündigung kommt in Betracht, wenn die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung ausgeschlossen oder – wie hier – tariflich in einer Weise eingeschränkt ist, die ihren Vorrang aufhebt, und dies dazu führt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer andernfalls trotz Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit noch für Jahre vergüten müsste, ohne dass dem eine entsprechende Arbeitsleistung gegenüberstünde. Allerdings ist der Arbeitgeber in diesem Fall in besonderem Maß verpflichtet zu versuchen, die Kündigung durch geeignete andere Maßnahmen zu vermeiden. Besteht irgendeine Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis sinnvoll fortzuführen, wird er den Arbeitnehmer in der Regel entsprechend einzusetzen haben. Erst wenn sämtliche denkbaren Alternativen ausscheiden, kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vorliegen (vgl. BAG 23. Januar 2014 – 2 AZR 372/13 – Rn. 17; 20. Juni 2013 – 2 AZR 379/12 – Rn. 15, BAGE 145, 265 jeweils mwN).

31. (2) Den hohen materiell-rechtlichen Anforderungen an das Vorliegen eines wichtigen Grundes iSv. § 626 Abs. 1 BGB entsprechen die prozessualen Anforderungen an den Umfang der Darlegungen des Arbeitgebers. Dieser hat von sich aus darzutun, dass keinerlei Möglichkeit besteht, das Arbeitsverhältnis – ggf. zu geänderten Bedingungen und nach entsprechender Umschulung – sinnvoll fortzusetzen. Das Fehlen jeglicher Beschäftigungsmöglichkeit zählt bei der außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung zum „wichtigen Grund“ (BAG 20. Juni 2013 – 2 AZR 379/12 – Rn. 36, BAGE 145, 265; 22. November 2012 – 2 AZR 673/11 – Rn. 41).

32. (3) Das Landesarbeitsgericht hat – aus seiner Sicht konsequent – nicht festgestellt, ob die Beklagte die behaupteten Organisationsentscheidungen tatsächlich getroffen und – mit der Folge des Wegfalls von Bedarf an abhängiger Beschäftigung (vgl. BAG 20. Juni 2013 – 2 AZR 379/12 – Rn. 28, BAGE 145, 265) – umgesetzt hat. Das hat es nachzuholen. Dabei ist zu beachten, dass die Darlegung der Kündigungsgründe umso detaillierter sein muss, je näher die fragliche Organisationsentscheidung an den Kündigungsentschluss heranrückt (BAG 20. Juni 2013 – 2 AZR 379/12 – Rn. 23, aaO; 22. November 2012 – 2 AZR 673/11 – Rn. 18). Auf die Frage nach dem Wegfall des Beschäftigungsbedarfs käme es nur dann nicht an, wenn das Landesarbeitsgericht annehmen sollte, dass in jedem Fall eine Möglichkeit bestand, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin – und sei es zu geänderten Bedingungen und nach entsprechender Umschulung – sinnvoll fortzuführen. Eine Weiterbeschäftigung bei einer anderen Konzerngesellschaft könnte die Klägerin freilich nur nach den insofern geltenden allgemeinen Grundsätzen beanspruchen (vgl. dazu BAG 22. November 2012 – 2 AZR 673/11 – Rn. 39).

33. (4) Ggf. wird das Landesarbeitsgericht die Frage nach einer Missbräuchlichkeit der unternehmerischen Entscheidung der Beklagten unter Berücksichtigung nachstehender Hinweise zu beantworten haben.

34. (a) Die gerichtliche Kontrolle einer unternehmerischen Entscheidung zielt nicht darauf ab, dem Arbeitgeber organisatorische Vorgaben zu machen. Sie dient nicht dazu, die Stichhaltigkeit der Erwägungen zu prüfen, die ihn gerade zu dem von ihm gewählten Konzept bewogen haben. Es geht allein um die Verhinderung von Missbrauch (vgl. BAG 21. September 2006 – 2 AZR 607/05 – Rn. 31 mwN). Ein solcher kann vorliegen, wenn das Konzept des Arbeitgebers alleine darauf abzielt, den Arbeitnehmer „loszuwerden“ und dies mit einer unternehmerischen Entscheidung zu begründen (vgl. BAG 6. Oktober 2005 – 2 AZR 362/04 – zu B V 3 a der Gründe).

35. (b) Für eine beschlossene und durchgeführte unternehmerische Organisationsentscheidung spricht die Vermutung, dass sie aus sachlichen – nicht zuletzt wirtschaftlichen – Gründen getroffen wurde und nicht auf Rechtsmissbrauch beruht (BAG 20. November 2014 – 2 AZR 512/13 – Rn. 15; 31. Juli 2014 – 2 AZR 422/13 – Rn. 31 jeweils mwN). Im Prozess hat der Arbeitnehmer die Umstände darzulegen und ggf. zu beweisen, aus denen sich ergeben soll, dass die getroffene Organisationsmaßnahme offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (BAG 13. März 2008 – 2 AZR 1037/06 – Rn. 29). Trägt er entsprechende Indizien vor, ist in den Tatsacheninstanzen zunächst zu prüfen, ob diese in ihrer Gesamtschau, ggf. im Zusammenhang mit dem übrigen Prozessstoff, auf das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs schließen lassen. Ist dem so, sind die vom Arbeitnehmer angetretenen Beweise zu erheben, soweit der Arbeitgeber die Indiztatsachen ausreichend bestritten hat (§ 138 ZPO), und sind die Ergebnisse der Beweisaufnahme unter Beachtung der den Arbeitnehmer treffenden objektiven Beweislast zu würdigen (§ 286 Abs. 1 ZPO). Bei alledem ist das Gericht grundsätzlich frei darin, welche Beweiskraft es den – unstreitigen oder bewiesenen – Indizien im Einzelnen und in der Gesamtschau für seine Überzeugungsbildung beimisst (vgl. allgemein zum Indizienbeweis BAG 23. Oktober 2014 – 2 AZR 865/13 – Rn. 43; 19. April 2005 – 9 AZR 184/04 – zu II 3 der Gründe).

36. (c) Die bisher getroffenen Feststellungen gestatten nicht die Annahme von Rechtsmissbrauch, schließen dessen Vorliegen aber auch nicht aus. Aus der bloßen Tatsache, dass von der Fremdvergabe – zunächst – nur der Arbeitsplatz der Klägerin betroffen war, kann – wie ausgeführt – ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht auf eine Umgehung des besonderen Kündigungsschutzes geschlossen werden. Die genauen Gründe, die die Kündigungen aus den Jahren 2011 und 2012 rechtfertigen sollten, sind im hiesigen Rechtsstreit nicht vorgetragen. Es lässt sich deshalb nicht beurteilen, ob die Beklagte „alte“ Organisationsentscheidungen lediglich „fortgeschrieben“ hat. Dass die nunmehr behaupteten unternehmerischen Entscheidungen – auch – durch Gründe im Verhalten der Klägerin motiviert gewesen sein mögen, führt ebenfalls nicht ohne Weiteres zur Annahme von Rechtsmissbrauch (vgl. BAG 21. September 2006 – 2 AZR 607/05 – Rn. 32). Die Beschlüsse der Beklagten können selbst dann sachbezogen und objektiv nachvollziehbar gewesen sein, wenn sie ihre Unzufriedenheit mit dem Verhalten der Klägerin zum Anlass genommen haben sollte, die Arbeiten der EDV-Organisatorin an ein externes Unternehmen zu vergeben (vgl. BAG 31. Juli 2014 – 2 AZR 422/13 – Rn. 47). Warum diese Entscheidungen erst Anfang 2013 getroffen wurden, obgleich die Klägerin bereits seit Januar 2012 nicht mehr beschäftigt wurde, ist derzeit nicht erkennbar. Ebenso wenig ist ersichtlich, warum der behauptete Beschluss, nun auch die Tätigkeiten des EDV-Beauftragten nach außen zu vergeben, erst nach dessen Eigenkündigung gefasst wurde. Er muss nicht – nur – dazu gedient haben, die Chancen der Klägerin zu verschlechtern, mit ihrem Wiedereinstellungsbegehren durchzudringen, sondern könnte sogar gegen das Vorliegen von Rechtsmissbrauch sprechen. Den Parteien wird gemäß § 139 Abs. 2 ZPO zunächst Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben sein.

37. (5) Sollte sich herausstellen, dass die von der Beklagten behauptete Organisationsentscheidung tatsächlich getroffen und umgesetzt wurde, sie nicht rechtsmissbräuchlich war und keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit für die Klägerin bestand, schiede eine außerordentliche Kündigung nicht deshalb aus, weil die Beklagte nur noch für eine nicht erhebliche Zeit an ein ggf. sinnentleertes Arbeitsverhältnis gebunden gewesen wäre. Die Klägerin war bei Ablauf der Auslauffristen 53 bzw. 54 Jahre alt und damit weit entfernt von einer – tariflichen – Altersgrenze (vgl. BAG 20. Juni 2013 – 2 AZR 379/12 – Rn. 31, BAGE 145, 265).

38. b) Angesichts der aufgezeigten Stufenverhältnisse ist offen, ob die gegen die ordentliche Kündigung vom 27. Februar 2013 und die gegen die Kündigungen vom 27. März 2013 gerichteten Klageanträge zur Entscheidung anfallen werden. Falls es auf sie ankommen sollte, dürften die beiden ordentlichen Kündigungen – wie vom Landesarbeitsgericht angenommen – gemäß § 17 Nr. 6.2 MTV Stahl Ost unwirksam sein, weil vor ihrem Ausspruch weder ein Sozialplan noch die Zustimmung der Tarifvertragsparteien vorlag. Für eine Altersdiskriminierung, die dazu führen könnte, dass diese Kündigungsbeschränkungen nicht eingreifen (vgl. BAG 20. Juni 2013 – 2 AZR 295/12 – Rn. 51, BAGE 145, 296), bestehen keine Anhaltspunkte.

39. C. Falls sich eine der – außerordentlichen – Kündigungen als wirksam erweisen sollte, wird das Landesarbeitsgericht über den im Wege der Anschlussberufung iSv. § 524 ZPO in den Rechtsstreit eingeführten Antrag auf Wiedereinstellung zu entscheiden haben, wenn es die damit verbundene Klageerweiterung in der Berufungsinstanz gemäß §§ 533, 529 ZPO iVm. § 67 ArbGG für zulässig erachten sollte. Dem Erfolg des Wiedereinstellungsantrags könnte in der Sache entgegenstehen, dass der Arbeitsplatz des EDV-Beauftragten erst nach dem 31. Oktober 2013 frei geworden sein soll und seine Tätigkeiten nach dem – bestrittenen – Vortrag der Beklagten ebenfalls nach außen vergeben wurden. Zudem könnte mit der Übertragung dieser Aufgaben die einem Wiedereinstellungsanspruch entgegenstehende Beförderung der Klägerin verbunden sein.