BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 27.5.2015, 5 AZR 88/14

Leitsätze

Begehrt ein nach § 34 Abs. 2 TVöD ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer unter Berufung auf die vertragliche Rücksichtnahmepflicht Schadensersatz wegen unterlassener Beschäftigung, ist er für die anspruchsbegründenden Tatsachen darlegungs- und beweisbelastet.

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 6. November 2013 – 3 Sa 423/13 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1. Die Parteien streiten über Vergütung für den Zeitraum 1. Februar 2006 bis 31. Juli 2013.

2. Der im Jahr 1959 geborene Kläger wurde von der Beklagten auf Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrags vom 4. Januar 1990 als „vollzeitbeschäftigter Angestellter“ eingestellt und zunächst „in Vergütungsgruppe Vb BAT“ eingruppiert. Er war seit Januar 1990 im Bundesamt für Verfassungsschutz (im Folgenden BfV) in K als „fremdsprachlicher Vorauswerter“ für den russischen Sprachraum tätig und mit der Vorauswertung von Informationsmaterial befasst, das bei Telefonüberwachungsmaßnahmen anfiel. Seit 1996 setzte ihn die Beklagte zusätzlich – auch auf Auslandsdienstreisen des Amtsleiters des BfV – als Dolmetscher für Russisch ein. Er wurde zuletzt nach Entgeltgruppe 11 des auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbaren Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (Bund und Kommunen; im Folgenden TVöD) vergütet.

3. Bei Dienstantritt wurde dem Kläger eine Ermächtigung zum Umgang mit Verschlusssachen (im Folgenden VS-Ermächtigung) gemäß dem Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes (SÜG) erteilt, die für jede Tätigkeit beim BfV erforderlich ist.

4. Im August 2002 erhielt das BfV Kenntnis über laufende Ermittlungen gegen eine Tätergruppe aus dem Bereich der russischen organisierten Kriminalität wegen Geldwäsche, schweren Menschenhandels, bandenmäßig betriebener illegaler Einschleusung von Ausländern in die Bundesrepublik und Urkundenfälschung. Als einer der Hauptverdächtigen galt der Schwager des Klägers. Dieser war bereits wegen einer Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz zu einer Haftstrafe verurteilt worden, hatte sich dem Vollzug der Haft jedoch durch Flucht in das osteuropäische Ausland entzogen. Nachdem bekannt geworden war, dass der Kläger Kontakt zu seinem Schwager hielt, stellte ihn die Beklagte am 3. Dezember 2002 unter Fortzahlung seiner Vergütung von der Arbeitsleistung frei. Am 11. August 2003 hob der Geheimschutzbeauftragte die VS-Ermächtigung des Klägers mit sofortiger Wirkung auf. Die vom Kläger hiergegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht ab. Den Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil zuzulassen, lehnte das OVG Münster ab.

5. Mit Schreiben vom 30. Januar 2006 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. Auf die vom Kläger erhobene Kündigungsschutzklage stellte das Arbeitsgericht fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst wurde. Den Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers wies das Arbeitsgericht ab. Das Landesarbeitsgericht Köln wies die Berufung des Klägers zurück. Seine Nichtzulassungsbeschwerde blieb erfolglos.

6. Am 25. September 2006 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit Auslauffrist zum 31. März 2007. Die Kündigungsschutzklage des Klägers wies das Arbeitsgericht ab. Das Landesarbeitsgericht bestätigte diese Entscheidung. Auf die Revision des Klägers hob das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts mit Urteil vom 26. November 2009 (- 2 AZR 272/08 – BAGE 132, 299) auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurück. Im erneuten Berufungsverfahren stellte das Landesarbeitsgericht mit Urteil vom 17. Januar 2012 (- 12 Sa 1502/10 -) fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 25. September 2006 nicht aufgelöst worden sei, und verurteilte die Beklagte, „den Kläger über den 31.03.2007 hinaus zu unveränderten Arbeitsbedingungen gemäß Arbeitsvertrag als Angestellten bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen“. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wurde vom Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 23. August 2012 (- 8 AZN 722/12 -), der Beklagten zugestellt am 7. September 2012, zurückgewiesen.

7. Zum 1. August 2013 ordnete die Beklagte den Kläger zur Bundespolizeiabteilung S ab. Die Vergütung des Klägers trägt weiterhin das BfV.

8. Mit der vorliegenden am 22. Dezember 2010 eingereichten, mehrfach erweiterten Klage begehrt der Kläger Vergütung wegen Annahmeverzugs, hilfsweise als Schadensersatz für den Zeitraum Februar 2006 bis Juli 2013. Er hat geltend gemacht, die arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit sei nicht auf eine solche beim BfV beschränkt. § 4 Abs. 1 TVöD enthalte eine umfassende Versetzungsklausel. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, ihm eine in Ausübung ihres Direktionsrechts neu zu bestimmende Tätigkeit zuzuweisen. Ihr Festhalten an der bisherigen Weisung habe nicht billigem Ermessen entsprochen. Die Beklagte habe ihre vertraglichen Rücksichtnahmepflichten verletzt, indem sie es unterlassen habe, ihm eine andere Beschäftigung zuzuweisen. Er habe deshalb jedenfalls einen Anspruch auf Schadensersatz. Mit Erhebung der Kündigungsschutzklagen und seinem Weiterbeschäftigungsbegehren habe er seine Bereitschaft zum Ausdruck gebracht, bei der Beklagten weiterzuarbeiten und jede beliebige andere Tätigkeit übernehmen zu wollen. Das Bundesamt für Güterverkehr (BfG) habe mit der Einführung der LKW-Maut Mitarbeiter, zB „Mautkontrolleure“ gesucht. Beschäftigungsmöglichkeiten hätten auch bei anderen Bundesbehörden in Nordrhein-Westfalen und im Bereich der gesamten Gebietskörperschaft der Beklagten und bei der Deutschen Bundesbank bestanden. Auf eine fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit könne sich die Beklagte aufgrund der im vorangegangenen Kündigungsschutzverfahren getroffenen Feststellungen nicht berufen. Die rechtskräftige Verurteilung der Beklagten, ihn weiter zu beschäftigen, habe präjudizielle Wirkung. Die Beklagte trage die Darlegungslast für das Nichtbestehen einer Beschäftigungsmöglichkeit in sämtlichen Geschäftsbereichen ihres territorialen Einflussbereichs. Es sei ihr zumutbar gewesen, zur Ermittlung freier Stellen auf die für Jedermann einsehbaren Stellenbörsen zurückzugreifen. Der bloßen Behauptung, es gebe bei keiner Behörde eine freie Stelle, für die er über die erforderlichen Qualifikationen verfüge, habe er nicht im Einzelnen entgegentreten können.

9. Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 391.518,87 Euro brutto abzüglich Zwischenverdienstes iHv. 82.230,04 Euro brutto und abzüglich der Leistungen der Bundesagentur für Arbeit iHv. 75.015,08 Euro nebst Zinsen in gestaffelter Höhe zu zahlen.

10. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, der Kläger habe aufgrund des Entzugs der VS-Ermächtigung nicht mehr beschäftigt werden können. Eine Möglichkeit, ihn außerhalb des BfV anderweitig zu beschäftigen, habe, wie Anfragen bei anderen Behörden ergeben hätten, mangels freier, der Qualifikation des Klägers entsprechender Stellen nicht bestanden. Die Stellen von „Mautkontrolleuren“ beim Bundesamt für Güterverkehr seien vor dem Streitzeitraum mit Einführung der LKW-Maut „aus Personalüberhängen der Post und Bahn“ besetzt worden. Selbst bei Annahme einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit könne ihr ein Verschulden frühestens ab dem 23. August 2012 zur Last gelegt werden, weil zunächst beide Tatsacheninstanzen ihre Rechtsauffassung, das Arbeitsverhältnis sei wirksam gekündigt, bestätigt hätten. Etwaige Ansprüche des Klägers für das Jahr 2006 seien insgesamt, für die Jahre 2007 und 2008 zum Teil verjährt.

11. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe

12. Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen und die Klage im Übrigen insgesamt abgewiesen. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger kann von der Beklagten für den streitbefangenen Zeitraum keine Vergütung wegen Annahmeverzugs oder als Schadensersatz wegen Verletzung vertraglicher Rücksichtnahmepflichten verlangen. Die Anspruchsvoraussetzungen sind nicht erfüllt. Auf die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung kommt es deshalb nicht an.

13. A. Ein Anspruch des Klägers auf Vergütung wegen Annahmeverzugs nach § 615 Satz 1 iVm. § 611 BGB ist nicht gegeben.

14. I. Unbeschadet der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen kommt der Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer außerstande ist, die Leistung zu bewirken, § 297 BGB.

15. 1. Die Leistungsfähigkeit ist eine vom Leistungsangebot und dessen Entbehrlichkeit unabhängige Voraussetzung, die während des gesamten Annahmeverzugszeitraums vorliegen muss. Grundsätzlich hat bei Streit über die Leistungsfähigkeit der Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen, dass der Arbeitnehmer zur Leistung außer Stande war (vgl. BAG 24. September 2014 – 5 AZR 611/12 – Rn. 17).

16. 2. Der Kläger war im Streitzeitraum außerstande, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.

17. Für die bis Dezember 2002 ausgeübte Tätigkeit fehlte ihm, nach Entzug der für jede Tätigkeit beim BfV entsprechend den Bestimmungen des SÜG zwingend erforderlichen VS-Ermächtigung, im gesamten Streitzeitraum die subjektive Leistungsfähigkeit (vgl. zum Entzug der kanonischen Beauftragung BAG 10. April 2014 – 2 AZR 812/12 – Rn. 67).

18. II. Die vom Kläger bekundete Bereitschaft, jede andere ggf. auch geringer vergütete Tätigkeit als Angestellter im gesamten Bundesgebiet auszuüben, konnte die Beklagte nicht in Annahmeverzug versetzen, weil sie nicht die zu bewirkende Arbeitsleistung betraf, § 294 BGB.

19. 1. Ist die vom Arbeitnehmer zu erbringende Tätigkeit im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig umschrieben, obliegt es nach § 106 Satz 1 GewO dem Arbeitgeber, den Inhalt der zu leistenden Arbeit näher zu bestimmen (vgl. BAG 19. Mai 2010 – 5 AZR 162/09 – Rn. 16, BAGE 134, 296). Die durch die wirksame Ausübung des Direktionsrechts näher bestimmte Tätigkeit ist die zu bewirkende Arbeitsleistung. Auf sie muss sich der Leistungswille des Arbeitnehmers richten (vgl. BAG 22. Februar 2012 – 5 AZR 249/11 – Rn. 21, BAGE 141, 34). Kann der Arbeitnehmer die vom Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechts wirksam näher bestimmte Tätigkeit aus in seiner Person liegenden Gründen nicht mehr ausüben, aber eine andere im Rahmen der arbeitsvertraglichen Vereinbarung liegende Tätigkeit verrichten, ist das Angebot einer anderen Tätigkeit ohne Belang, solange der Arbeitgeber nicht durch eine Neuausübung seines Direktionsrechts diese zu der iSv. § 294 BGB zu bewirkenden Arbeitsleistung bestimmt hat. Andernfalls könnte der Arbeitnehmer den Inhalt der arbeitsvertraglich nur rahmenmäßig umschriebenen Arbeitsleistung selbst konkretisieren. Das widerspräche § 106 Satz 1 GewO. Die Konkretisierung der Arbeitspflicht ist Sache des Arbeitgebers (vgl. BAG 19. Mai 2010 – 5 AZR 162/09 – Rn. 16, aaO).

20. 2. Der Kläger war vor dem Streitzeitraum ausschließlich beim BfV und dort als fremdsprachlicher Vorauswerter für den russischen Sprachraum und Dolmetscher für Russisch eingesetzt. Durch die Zuweisung dieser Tätigkeiten hat die Beklagte den Inhalt der Arbeitsleistung gem. § 106 Satz 1 GewO näher bestimmt. Die Wirksamkeit der Weisung steht zwischen den Parteien außer Streit. Das Angebot einer anderen Tätigkeit betraf deshalb nicht die zu bewirkende Arbeitsleistung.

21. B. Dem Kläger steht auch kein Schadensersatz wegen entgangener Vergütung infolge einer Verletzung vertraglicher Rücksichtnahmepflichten durch die Beklagte zu.

22. I. Ob das Landesarbeitsgericht an einer Entscheidung über den vom Kläger – erstmals im Berufungsverfahren – geltend gemachten Schadensersatzanspruch wegen Verletzung vertraglicher Rücksichtnahmepflichten durch unterlassene Zuweisung einer anderweitigen Beschäftigung gehindert war, ist einer Überprüfung in der Revision entzogen.

23. 1. Das Arbeitsgericht hat, indem es mit der Abweisung eines erstinstanzlich nicht geltend gemachten Schadensersatzanspruchs über den vom Kläger in das Verfahren eingeführten Streitgegenstand hinausgegangen ist, gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO verstoßen. Danach ist ein Gericht nicht befugt, abschlägig über einen Antrag zu entscheiden, den die Partei nicht gestellt hat. Ein Verstoß gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist vom Revisionsgericht von Amts wegen zu beachten (vgl. BAG 28. Februar 2006 – 1 AZR 460/04 – Rn. 10, BAGE 117, 137). Die arbeitsgerichtliche Entscheidung über diesen Anspruch ist gegenstandslos.

24. 2. Allerdings hat der Kläger die Klage mit der Berufungsbegründung erweitert, indem er das Klagebegehren hilfsweise auf einen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung vertraglicher Rücksichtnahmepflichten gestützt hat. Das Landesarbeitsgericht hat über diesen Streitgegenstand sachlich entschieden und damit die Voraussetzungen einer Klageänderung in der Berufungsinstanz nach § 533 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG stillschweigend bejaht. Die Zulässigkeit der Klageänderung ist in der Revisionsinstanz in entsprechender Anwendung von § 268 ZPO nicht mehr zu prüfen (vgl. BAG 19. Januar 2011 – 3 AZR 111/09 – Rn. 22; 9. Dezember 2014 – 1 AZR 146/13 – Rn. 24).

25. II. Ein Anspruch des Klägers auf Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 BGB ist nicht gegeben. Die Beklagte hat, indem sie dem Kläger keine andere Tätigkeit zuwies, nicht schuldhaft ihre Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB verletzt.

26. 1. Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Dies dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Ist der Arbeitnehmer aus in seiner Person liegenden Gründen nicht mehr in der Lage, die vom Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechts nach § 106 Satz 1 GewO näher bestimmte Leistung zu erbringen, kann es die Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB gebieten, dass der Arbeitgeber von seinem Direktionsrecht erneut Gebrauch macht und die vom Arbeitnehmer zu erbringende Leistung innerhalb des arbeitsvertraglich vereinbarten Rahmens anderweitig derart konkretisiert, dass dem Arbeitnehmer die Leistungserbringung wieder möglich wird (BAG 19. Mai 2010 – 5 AZR 162/09 – Rn. 26, 27, BAGE 134, 296; 15. Oktober 2013 – 1 ABR 25/12 – Rn. 24). Die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Neubestimmung der Tätigkeit des Arbeitnehmers setzt voraus, dass der Arbeitnehmer die Umsetzung auf einen seinem Leistungsvermögen entsprechenden Arbeitsplatz verlangt und dem Arbeitgeber mitgeteilt hat, wie er sich seine weitere, die aufgetretenen Leistungshindernisse ausräumende Beschäftigung vorstellt. Dem Verlangen des Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber regelmäßig entsprechen, wenn ihm die in der Zuweisung einer anderen Tätigkeit liegende Neubestimmung der zu bewirkenden Arbeitsleistung zumutbar und rechtlich möglich ist (vgl. BAG 19. Mai 2010 – 5 AZR 162/09 – Rn. 28 ff., aaO).

27. 2. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass der Beklagten innerhalb des arbeitsvertraglich vereinbarten Rahmens eine Beschäftigung möglich gewesen wäre und er eine solche von der Beklagten verlangt hätte.

28. a) Der Kläger ist nach allgemeinen Regeln für die den Schadensersatzanspruch begründenden Tatsachen darlegungs- und beweisbelastet (vgl. BAG 21. Juni 2012 – 2 AZR 694/11 – Rn. 49, BAGE 142, 188). Abweichende Beweislastregeln greifen zu seinen Gunsten nicht ein.

29. Entgegen der Ansicht des Klägers gelten im Schadensersatzprozess nicht die Grundsätze der Darlegungslast für den Nachweis der Wirksamkeit einer vom Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigung. Der Anwendungsbereich der speziellen Beweislastregel des § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG, der zu Folge der Arbeitgeber das Fehlen einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit als Teil des Kündigungsgrundes darzulegen und bei erheblichem Bestreiten zu beweisen hat, ist auf den Kündigungsschutzprozess beschränkt. Ebenso wenig können die im Kündigungsschutzprozess für die Prüfung der Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung eines tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers geltenden Grundsätze der Darlegungslast herangezogen werden. Die prozessualen Anforderungen an den Umfang der Darlegungen des Arbeitgebers entsprechen hier den hohen materiell-rechtlichen Anforderungen an das Vorliegen eines wichtigen Grundes iSv. § 626 Abs. 1 BGB (vgl. BAG 18. März 2010 – 2 AZR 337/08 – Rn. 21; 22. November 2012 – 2 AZR 673/11 – Rn. 41; 20. Juni 2013 – 2 AZR 379/12 – Rn. 36, BAGE 145, 265).

30. b) Etwas anderes ergibt sich vorliegend auch nicht aus den Grundsätzen der sekundären Behauptungslast.

31. aa) Kann die darlegungspflichtige Partei, obwohl sie alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausgeschöpft hat, ihrer primären Darlegungslast nicht nachkommen, weil sie außerhalb des für ihren Anspruch erheblichen Geschehensablaufs steht, genügt nach den Grundsätzen der sekundären Behauptungslast das einfache Bestreiten des Gegners der primär darlegungspflichtigen Partei nicht, wenn er die wesentlichen Tatsachen kennt und ihm nähere Angaben zuzumuten sind. Hier kann von ihm das substantiierte Bestreiten der behaupteten Tatsache unter Darlegung der für das Gegenteil sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt werden (vgl. BAG 25. Februar 2010 – 6 AZR 911/08 – Rn. 53, BAGE 133, 265; 18. September 2014 – 6 AZR 145/13 – Rn. 29).

32. bb) Einer weitergehenden sekundären Darlegungslast der Beklagten steht vorliegend bereits entgegen, dass der Kläger seine Informationsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft hat. Dem Kläger war es nach eigenem Vortrag möglich, in die Stellenbörsen der Beklagten Einblick zu nehmen. Er hat nicht dargelegt, diese Möglichkeit ergebnislos genutzt zu haben. Der Kläger hätte zudem zumindest konkret angeben müssen, an welche Behörde bzw. welche Dienststelle er denkt, welche Art der Beschäftigung er meint, weshalb es ihm unter Berücksichtigung seiner Qualifikation möglich gewesen wäre, eine entsprechende Tätigkeit auszuüben, und weshalb bei Nichtvorhandensein freier Stellen ein Austausch mit anderen Arbeitnehmern im Wege der Umsetzung in Betracht gekommen wäre (vgl. BAG 25. Oktober 2012 – 2 AZR 552/11 – Rn. 30; 24. Mai 2012 – 2 AZR 62/11 – Rn. 28, BAGE 142, 36; 10. April 2014 – 2 AZR 812/12 – Rn. 47). Erst dann wäre sein Vortrag für die Beklagte überhaupt weiter einlassungsfähig gewesen. Die Beklagte konnte sich deshalb darauf beschränken vorzutragen, die Anfragen bei Behörden wegen einer für den Kläger möglicherweise bestehenden Beschäftigungsmöglichkeit seien erfolglos geblieben, weil offene, der Qualifikation des Klägers entsprechende Stellen nicht zur Verfügung gestanden hätten.

33. 3. Indem der Kläger lediglich pauschal behauptet hat, der Beklagten sei es angesichts der Vielzahl im gesamten Bundesgebiet in ihren Geschäftsbereichen beschäftigten Angestellten möglich gewesen, ihn anderweitig zu beschäftigen, hat er seiner Darlegungslast nicht genügt.

34. a) Soweit sich der Kläger auf die Möglichkeit einer Beschäftigung als „Mautkontrolleur“ beim BfG berufen hat, ist er dem Vortrag der Beklagten, die Stellen seien vor dem Streitzeitraum mit Einführung der LKW-Maut „aus Personalüberhängen der Post und Bahn“ besetzt worden, nicht entgegengetreten, so dass dieser gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gilt. Der Kläger hat nicht behauptet, eine Umsetzung der dort beschäftigten Arbeitnehmer im Austausch mit ihm sei möglich gewesen. Seinem Vortrag ist zudem mangels Angaben zur auszuübenden Tätigkeit nicht zu entnehmen, ob es sich um eine vertragsgerechte oder vertragsfremde Beschäftigung gehandelt hätte. Eine Verpflichtung zu einer vertragsfremden Beschäftigung begründet das Gebot der Rücksichtnahme nicht (BAG 19. Mai 2010 – 5 AZR 162/09 – Rn. 26, 27, BAGE 134, 296; 15. Oktober 2013 – 1 ABR 25/12 – Rn. 24).

35. b) Der Vortrag des Klägers, seine Beschäftigung sei der Beklagten in den in der Revisionsbegründung genannten Geschäftsbereichen möglich gewesen, ist unsubstantiiert. Der Kläger hat lediglich einzelne Geschäftsbereiche benannt. Er hat jedoch nicht dargelegt, mit welchen Aufgaben er in den von ihm genannten Bereichen vertragsgerecht hätte beschäftigt werden können und wann er im Streitzeitraum von der Beklagten eine entsprechende Beschäftigung verlangt hätte. Nicht entscheidungserheblich ist deshalb, dass neuer Tatsachenvortrag in der Revision zudem nach § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO unbeachtlich ist (vgl. BAG 22. Mai 2012 – 1 AZR 94/11 – Rn. 25).

36. 4. Weiterer Sachvortrag des Klägers war auch nicht im Hinblick auf das der Kündigungsschutzklage stattgebende Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 17. Januar 2012 (- 12 Sa 1502/10 -) entbehrlich. Die Entscheidung hat hinsichtlich der Möglichkeit, den Kläger im Streitzeitraum zu beschäftigen, keine präjudizielle Wirkung.

37. a) Präjudizielle Rechtsverhältnisse und Vorfragen werden nur dann iSv. § 322 ZPO rechtskräftig festgestellt, wenn sie selbst Streitgegenstand waren. Es genügt nicht, dass über sie als bloße Vorfragen zu entscheiden war (vgl. BGH 21. April 2010 – VIII ZR 6/09 – Rn. 9; 7. Juli 1993 – VIII ZR 103/92 – zu II 1 der Gründe, BGHZ 123, 137; Zöller/Vollkommer ZPO 30. Aufl. vor § 322 Rn. 34; Musielak/Voit/Musielak ZPO 12. Aufl. § 322 Rn. 17). Einzelne Begründungselemente nehmen grundsätzlich nicht an der materiellen Rechtskraft teil (vgl. BAG 19. November 2014 – 5 AZR 121/13 – Rn. 27; 25. August 2010 – 10 AZR 275/09 – Rn. 16, BAGE 135, 239; 20. Dezember 2012 – 2 AZR 867/11 – Rn. 23; BGH 26. Juni 2003 – I ZR 269/00 – zu II 1 a der Gründe).

38. b) Das Landesarbeitsgericht hat bei seiner Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit des Klägers bei der Beklagten nicht festgestellt, sondern lediglich eine non-liquet-Entscheidung getroffen.

39. 5. Auch indem das Landesarbeitsgericht Köln mit Urteil vom 17. Januar 2012 (- 12 Sa 1502/10 -) dem Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers entsprochen hat, ist für das vorliegende Verfahren eine Möglichkeit und Verpflichtung der Beklagten, den Kläger im Streitzeitraum zu beschäftigen, nicht bindend festgestellt.

40. a) Der Umfang der materiellen Rechtskraft gemäß § 322 Abs. 1 ZPO ist aus dem Urteil und den dazu ergangenen Gründen zu bestimmen (BAG 10. April 2014 – 2 AZR 812/12 – Rn. 29). Der Titel muss aus sich heraus einen bestimmten oder zumindest bestimmbaren Inhalt haben (vgl. BAG 31. Mai 2012 – 3 AZB 29/12 – Rn. 15). Das Erfordernis der – von Amts wegen zu prüfenden – Bestimmtheit des Urteilsausspruchs dient der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Der Umfang der materiellen Rechtskraft iSv. § 322 Abs. 1 ZPO und damit die Entscheidungswirkungen müssen festgestellt werden können (vgl. BAG 15. Oktober 2013 – 9 AZR 564/12 – Rn. 23). Andernfalls würden Unklarheiten über den Inhalt der Verpflichtung aus dem Erkenntnisverfahren in das Vollstreckungsverfahren verlagert werden, dessen Aufgabe es nicht ist zu klären, worin die festgelegte Verpflichtung des Schuldners besteht (BAG 28. Februar 2003 – 1 AZB 53/02 – zu B II 1 der Gründe, BAGE 105, 195; 31. Mai 2012 – 3 AZB 29/12 – Rn. 15).

41. b) Die vom Landesarbeitsgericht Köln mit der Entscheidung vom 17. Januar 2012 (- 12 Sa 1502/10 -) in Ziffer 1b des Tenors ausgeurteilte Verpflichtung der Beklagten entfaltet keine Bindungswirkung. Der Weiterbeschäftigungsausspruch ist der Rechtskraft nicht fähig. Er ist nicht hinreichend bestimmt.

42. aa) Der Entscheidung ist schon nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit zu entnehmen, ab welchem Zeitpunkt eine Verpflichtung der Beklagten bestehen soll. Das Landesarbeitsgericht tenorierte, der Kläger sei „über den 31.03.2007 hinaus“ bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen. Dies umfasste die Verurteilung der Beklagten zu einer von vornherein unmöglichen Beschäftigung des Klägers vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung am 17. Januar 2012 auch in der Vergangenheit ab dem 1. April 2007. Im Widerspruch hierzu stehen die Entscheidungsgründe des Urteils. Das Landesarbeitsgericht nimmt darin auf die in der Entscheidung des Großen Senats vom 27. Februar 1985 (- GS 1/84 – BAGE 48, 122) aufgestellten Grundsätze Bezug. Danach ist Voraussetzung für eine dem Weiterbeschäftigungsantrag stattgebende Entscheidung ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Instanzurteil (vgl. BAG GS 27. Februar 1985 – GS 1/84 – zu C II 3 c der Gründe, aaO). Eine der Kündigungsschutzklage stattgebende Entscheidung war jedoch vor dem 17. Januar 2012 nicht ergangen. Die Entscheidungsgründe sind mit dem Tenor nicht in Einklang zu bringen. Der Umfang der materiellen Rechtskraft iSv. § 322 Abs. 1 ZPO lässt sich damit schon in zeitlicher Hinsicht nicht ermitteln.

43. bb) Ebenso wenig lässt sich der Inhalt der ausgeurteilten Beschäftigungspflicht mit der erforderlichen Bestimmtheit feststellen.

44. (1) Bei der Titulierung des dem Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen während des Laufs eines Kündigungsschutzprozesses zustehenden Anspruchs auf Weiterbeschäftigung (vgl. BAG GS 27. Februar 1985 – GS 1/84 – BAGE 48, 122) muss der Vollstreckungstitel verdeutlichen, um welche Art von Beschäftigung es geht. Für den Schuldner muss aus rechtsstaatlichen Gründen erkennbar sein, in welchen Fällen er mit einem Zwangsmittel zu rechnen hat (vgl. BAG 28. Februar 2003 – 1 AZB 53/02 – zu B II 1 der Gründe, BAGE 105, 195). Andererseits erfordern das Rechtsstaatsprinzip und das daraus folgende Gebot effektiven Rechtsschutzes (BVerfG 12. Februar 1992 – 1 BvL 1/89 – zu C I der Gründe, BVerfGE 85, 337), dass materiell-rechtliche Ansprüche effektiv durchgesetzt werden können. Bei im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig umschriebener Arbeitspflicht kann der Titel aus materiell-rechtlichen Gründen nicht so genau sein, dass er auf eine ganz bestimmte im Einzelnen beschriebene Tätigkeit oder Stelle zugeschnitten ist. Darauf hat der Arbeitnehmer regelmäßig keinen Anspruch, weil das Weisungsrecht nach § 106 GewO dem Arbeitgeber zusteht. Um diesen Gesichtspunkten gerecht zu werden, ist es jedenfalls erforderlich, dass die Art der ausgeurteilten Beschäftigung des Arbeitnehmers aus dem Titel ersichtlich ist. Einzelheiten hinsichtlich der Art der Beschäftigung oder sonstigen Arbeitsbedingungen muss der Titel demgegenüber nicht enthalten. Dafür reicht es aus, wenn sich aus dem Titel das Berufsbild, mit dem der Arbeitnehmer beschäftigt werden soll, ergibt oder diesem zu entnehmen ist, worin die ihm zuzuweisende Tätigkeit bestehen soll (BAG 15. April 2009 – 3 AZB 93/08 – Rn. 19, BAGE 130, 195).

45. (2) Auch unter Berücksichtigung dieser Anforderungen an die Bestimmtheit eines Weiterbeschäftigungstitels erschließt sich der Inhalt einer Beschäftigungspflicht der Beklagten aus der Entscheidung nicht.

46. Die Art und Weise der von der Beklagten vorzunehmenden Beschäftigung des Klägers ergibt sich aus dem Titel nicht. Verwertbare Angaben zur Art seiner Beschäftigung sind ihm nicht zu entnehmen. Diese ergeben sich insbesondere nicht aus der Formulierung „gemäß Arbeitsvertrag“. Zwar kann eine Bezugnahme auf einen Arbeitsvertrag, vorausgesetzt dessen Inhalt lässt sich anhand des Tenors und der Entscheidungsgründe des Urteils eindeutig feststellen, für die Bestimmtheit eines Weiterbeschäftigungstitels ausreichen. Vorliegend enthält die Bezugnahme jedoch, indem sie mit dem Zusatz „zu unveränderten Arbeitsbedingungen“ verbunden ist, Einschränkungen, die zur Unbestimmtheit führen. Der Zusatz steht im Widerspruch zur Feststellung des Landesarbeitsgerichts, einer Tätigkeit des Klägers zu den bisherigen Bedingungen beim BfV, wie „im sicherheitsrelevanten Bereich“ insgesamt, stehe der Entzug der VS-Ermächtigung entgegen. Auf eine konkrete andere Beschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen nimmt die Entscheidung nicht Bezug. Der Inhalt der „unveränderten Arbeitsbedingungen“ ist der Entscheidung damit nicht einmal rahmenmäßig zu entnehmen. Zumal der Titel wörtlich genommen auf eine der Beklagten nach dem SÜG verbotene Handlung gerichtet ist.

47. III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Fristlose Kündigung unwirksam, weil 14 Jahre lang beanstandungslos beschäftigte Küchenhilfe 2 KG Essensreste mitgenommen hat.

Früher war in solchen Fällen eine fristlose Kündigung möglich. Seit dem Emmely-Fall (BAG 2 AZR  541/09 vom 10.06.2010) ist auch bei Bagatelldelikten von geringem Wert zunächst eine umfassende Interessensabwägung vorzunehmen, so dass ohne weiteres möglich sein kann, dass eine fristlose Kündigung bei sehr langer Beschäftigungszeit dann ohne vorhergehende Abmahnung unwirksam sein kann, weil unverhältnismäßig. Arbeitgebern ist daher anzuraten immer erst eine Abmahnung auszusprechen.

LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 18.12.2013, 6 Sa 203/13

Einer Kassiererin war vorgeworfen worden, zwei ihr nicht gehörende Flaschenpfandbons im Wert von 1,30 Euro für sich selbst eingelöst zu haben; ihr wurde fristlos gekündigt. Das Bundesarbeitsgericht erklärte jedoch die Kündigung für unwirksam. Das Arbeitsgericht Berlin sowie das Landesarbeitsgereicht Berlin-Brandenburg hatten beide die Kündigung zunächst für wirksam erachtet: Die Verdachtskündigung sei wirksam, da Vertrauen zerrüttet wäre, zumal Zeugen bestätigt haben, dass die Kassiererin die Bons tatsächlich eingelöst hat. Durch die Einlösung von 2 Bons im Wert von 48 Cent und 82 Cent habe die Kassiererin den von ihr zu zahlenden Einkaufswert zu Lasten des Arbeitgebers um 1,30 Euro ohne Befugnis gekürzt. Dies Verhalten stelle einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung nach § 626 BGB dar. Bei der Interessensabwägung überwiege daher das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Bestandsinteresse der Arbeitnehmerin. Von einer Kassiererin sei Zuverlässigkeit und korrekte Abrechnung an der Kasse unabdingbar, der Arbeitgeber müsse sich hierauf verlassen können. Die Entwendung auch nur geringwertiger Sachen rechtfertige eine fristlose Kündigung. Die Unschuldsvermutung gälte nicht im Arbeitsrecht.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) ließ Revision gegen die Berufung zu und hob diese schließlich mit dem Argument auf, dass die Kassiererin hier nur eine „erhebliche Pflichtwidrigkeit“ begangen hätte, worauf der Arbeitgeber zunächst nur mit einer Abmahnung, anstatt sofort einer fristlosen Kündigung hätte reagieren dürfen. Da die Kassiererin über 31 Jahre im Betrieb beschäftigt war, könne das von ihr während dieser Zeit erworbene Vertrauen nicht durch diese einmalige Verfehlung „aufgezehrt“ werden.

BAG 2 AZR 541/09 vom 10.06.2010

Bei Diebstahl einer Zigarettenpackung aus dem Warenbestand des Arbeitgebers, kann dies auch nach zehnjähriger Betriebszugehörigkeit eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen.
Wenn eine verdeckte Videoüberwachung einen Täter überführt, kann das somit gewonnene Beweismaterial im Prozess grundsätzlich nicht ohne Weiteres verwertet werden.
Doch das Interesse des Arbeitgebers geht  dem Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts des Arbeitnehmers ausnahmsweise dann aber vor, wenn die Art der Informationsbeschaffung trotz der mit ihr verbundenen Persönlichkeitsbeeinträchtigung als schutzbedürftig zu qualifizieren ist.
Dies ist bei verdeckter Videoüberwachung nur dann gegeben, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers bestand, es keine andere Möglichkeit zur Aufklärung durch weniger einschneidende Maßnahmen mehr gab und die Videoüberwachung als solche nicht unverhältnismäßig war.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21. Juni 2012,  AZ: 2 AZR 153/11

Nach dem BAG kann ein Arbeitgeber einen fristlos gekündigten Arbeitnehmer nicht gleichzeitig wirksam unter Anrechnung von Urlaub freistellen. Der Urlaub bleibt bestehen.
Der Passus in einer fristlosen Kündigung mit dem Wortlaut

„Im Falle der Wirksamkeit der hilfsweise fristgemäßen Kündigung werden Sie mit sofortiger Wirkung unter Anrechnung sämtlicher Urlaubs- und Überstundenansprüche unwiderruflich von der Erbringung Ihrer Arbeitsleistung freigestellt.“

ist nach BAG unwirksam, weil damit im Falle der Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung der Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlten Erholungsurlaub nicht erfüllt ist.
Nach § 1 Bundesurlaubsgesetz (BurlG) setzt die Erfüllung des Anspruchs auf Erholungsurlaub nicht nur die Freistellung von der Arbeitsleistung, sondern zudem auch die Zahlung des Urlaubsentgelts (Gehalts) voraus.
Dies ist aber bei obiger Klausel gerade nicht der Fall. Nach BAG gewährt daher ein Arbeitgeber durch die Freistellungserklärung in einem Kündigungsschreiben nur dann wirksam Urlaub, wenn er dem Arbeitnehmer das Urlaubsentgelt vor Antritt des Urlaubs zahlt oder vorbehaltlos zusagt.
Nach BAG stellt Urlaub eine Verbindung von tatsächlicher Freistellung und entsprechender Gehaltszahlung dar, so dass nur dann eine Urlaubsgewährung vorliegt, wenn beides erfüllt ist.
Eine vorsorgliche und nur hilfsweise Anrechnung des Urlaubs im Fall einer Kündigung ist daher nicht möglich. Es sei denn, der Urlaub wird tatsächlich gezahlt.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10. Februar 2015,  AZ: 9 AZR 455/13

Missbrauch einer „Stempeluhr“ bzw. vorsätzlich falsches Ausstellen entsprechender Formulare:

Verstößt ein Arbeitnehmer vorsätzlich gegen seine Verpflichtung, die von ihm geleistete Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, dann rechtfertigt dies eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

Gleiches gilt, wenn ein Arbeitnehmer für einen Kollegen bestimmte Kontrollein­richtungen betätigt und dadurch über dessen geleistete Arbeitszeit täuscht. Auf eine Strafbarkeit der Pflichtverletzung kommt es dabei nicht an.

Entscheidend ist dabei nur der objektive Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und das Gewicht eines damit verbundenen Vertrauensbruchs (BAG 25.10.2012 – 2 AZR 700/11; BAG 24.05.2012 – 2 AZR 206/11).

Der Arbeitgeber muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit seiner Mitarbeiter vertrauen können. Dies gilt erst recht, wenn diese nicht an feste Arbeitszeiten gebunden sind. Überträgt der Arbeitgeber den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und füllt ein Arbeitnehmer entsprechende Formulare vorsätzlich falsch aus, liegt darin ein schwerer Vertrauensmissbrauch.

Darauf, ob dem Arbeitgeber durch das Verhalten ein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist oder das Verhalten des Arbeitnehmers auf andere – nicht wirtschaftliche – Vorteile ausgerichtet war, kommt es grundsätzlich nicht an.
BAG, 26.09.2013 – 2 AZR 682/12

Soll einem Arbeitnehmer, der mit einem Grad von weniger als 50 behindert ist, gekündigt werden so bedarf dies nach § 85 SBG IX iVm. § 68 Abs. 1 und 3, § 2 Abs. 3 SGB IX nur dann der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts, wenn der Arbeitnehmer iSd. § 2 Abs. 3 SBB IX einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist.

Nach § 68 Abs. 2 Satz 1 SGB IX erfolgt eine Gleichstellung auf Antrag des behinderten Arbeitnehmers bei der Bundesagentur für Arbeit § 69 SGB IX.

Damit wird als erst durch die Feststellung der Gleichstellung ein besonderer Kündigungsschutz begründet.

Die insoweit kündigungsrechtlich unterschiedliche Behandlung von Scherbehinderten und Arbeitnehmern, welche nur  mit einem Grad von weniger als 50% behindert sind,  stellt dabei keine Diskriminierung der weniger stark behinderten Arbeitnehmer dar, da diese im Vergleich zu Unbehinderten nicht „wegen ihrer Behinderung“ ungünstiger behandelt werden, sondern nur weniger günstig als stärker behinderte.

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 10.04.2014 – 2 AZR 647/13

Quelle „Bundesarbeitsgericht

Die gesetzliche Kündigungsfrist des Arbeitgebers nach § 622 Abs. 1 BGB verlängert sich gemäß § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB bei längerer Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers in mehreren Stufen.

Diese Staffelung der Kündigungsfristen verletzt das Verbot der mittelbaren Altersdiskriminierung jedoch nicht. Diese Verlängerung verfolgt nur das rechtmäßige Ziel, länger beschäftigten und damit betriebstreuen, typischerweise älteren Arbeitnehmern dadurch einen verbesserten Kündigungsschutz zu gewähren.

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 18.09.2014 – 6 AZR 636/13

Quelle „Bundesarbeitsgericht

Ist im Kündigungszeitpunkt die Prognose gerechtfertigt, der Arbeitnehmer biete aufgrund einer Alkoholerkrankung dauerhaft nicht Gewähr, seine vertraglich geschuldete Tätigkeit ordnungsgemäß zu erbringen, so kann eine Kündigung durch Gründe in der Person des Arbeitnehmers bedingt sein. Für die Prognose kommt es dabei entscheidend darauf an, ob der Mitarbeiter bereit ist, eine Entziehungskur /Therapie durchzuführen. Lehnt er dies ab, ist davon auszugehen, dass er von seiner Alkoholabhängigkeit in absehbarer Zeit nicht geheilt wird. Eine Alkoholerkrankung berechtigt den Arbeitgeber nicht nur dann zur Kündigung, wenn sie mit beträchtlichen Fehlzeiten des Arbeitnehmers einhergeht. Eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen kann sich zudem auch daraus ergeben, dass die Verrichtung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit mit einer beachtlichen Selbst- und Fremdgefährdung des Arbeitnehmers oder dritter Person verbunden ist und der Arbeitnehmer mangels Fähigkeit zur Alkoholabstinenz nicht die erforderliche Gewähr dafür bietet, bei seiner Arbeitsleistung einschlägige Unfallverhütungsvorschriften ausnahmslos zu beachten.

Nach dem BAG ist Voraussetzung, dass infolge der Alkoholsucht eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen folgt, die durch mildere Mittel – etwa eine Versetzung – nicht abgewendet werden kann und sie auch bei einer Abwägung gegen die Interessen des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden muss (BAG 20. Dezember 2012 – 2 AZR 32/11 – Rn. 22; zu den Anforderungen an eine krankheitsbedingte
Kündigung vgl. BAG 30. September 2010 – 2 AZR 88/09 – Rn. 11,BAGE 135, 361). Für die Prognose im Hinblick auf die weitere Entwicklung einer Alkoholerkrankung kommt es nach dem BAG entscheidend darauf an, ob der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Kündigung bereit ist, eine Entziehungskur bzw. Therapie durchzuführen. Lehnt er das ab, kann erfahrungsgemäß davon ausgegangen werden, dass er von seiner Alkoholabhängigkeit in absehbarer Zeit nicht geheilt wird (BAG 9. April1987 – 2 AZR 210/86 – zu B III 3 der Gründe). Ebenso kann eine negative Prognose dann berechtigt sein, wenn der Arbeitnehmer nach abgeschlossener Therapie rückfällig geworden ist (BAG 16. September 1999 – 2 AZR 123/99 – zu II 2 b bb der Gründe).

Im Streitfall war im Zeitpunkt der Kündigung die Annahme gerechtfertigt, der Mitarbeiter biete aufgrund von Alkoholsucht nicht mehr die Gewähr, seine Tätigkeit als Hofarbeiter dauerhaft ordnungsgemäß erbringen zu können, da seine vertraglich geschuldete Tätigkeit (An- und Abtransport sowie Umladung von Metallabfällen mittels schwerer Gerätschaften wie Bagger, Gabelstapler, Lader, betriebseigener und betriebsfremder LKW) sowohl mit einer nicht
unerheblichen Gefahr für sich selbst als auch für Dritte verbunden war.

Aufgrund dieser Gefahren war es dem Arbeitgeber nicht zuzumuten, den Mitarbeiter auf seinem bisherigen Arbeitsplatz einzusetzen.
Eine Eigen- oder Fremdgefährdung ist insbesondere beim Führen von Fahrzeugen oder selbstfahrenden Arbeitsmaschinen sowie beim Arbeiten in deren unmittelbarer Nähe gegeben. Angesichts der Alkoholerkrankung des Mitarbeiters und seiner nachweislich – auch krankheitsbedingt – mangelnden Fähigkeit, abstinent zu bleiben, konnte und durfte der Arbeitgeber nicht darauf vertrauen, der Mitarbeiter werde seine Arbeit als Hofarbeiter nüchtern, zumindest aber in einem körperlichen Zustand verrichten, der den Präventionsvorgaben gerecht wird.

Bereits dies führt – vorbehaltlich einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit – zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG (vgl. BAG 13. Dezember 1990 – 2 AZR 336/90), ohne dass es noch darauf ankäme, ob der Alkoholgenuss des Mitarbeiters zu Unfällen beigetragen hat, in die er während seiner Tätigkeit für den Arbeitgeber verwickelt war. Ebenso wenig ist von Belang, ob und ggf. wie oft der Arbeitnehmer in der Vergangenheit objektiv durchseine Alkoholisierung am Arbeitsplatz gesetzliche Vorgaben verletzt hat oder ggf. unerkannt arbeitsunfähig war. Entscheidend ist, dass der Arbeitgeber aufgrund der im Kündigungszeitpunkt fortbestehenden Alkoholerkrankung jederzeit mit einer Beeinträchtigung der Fahr- und Arbeitssicherheit durch den Mitarbeiter rechnen musste. Sein weiterer Einsatz als Hofarbeiter war ihm damit nicht zumutbar.

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 20.03.2014 – 2 AZR 565/12

Quelle „Bundesarbeitsgericht

Die Aufforderung eines Arbeitgebers an die in seinem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer zu erklären, ob sie einer bestimmten Gewerkschaft angehören, kann die Koalitionsbetätigungsfreiheit der betroffenen Gewerkschaft unzulässig einschränken.

Die Klägerin – die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) – ist Mitglied der dbb tarifunion. Die beklagte Arbeitgeberin gehört dem Kommunalen Arbeitgeberverband Bayern e.V. (KAV Bayern) an. Dieser schloss im Jahr 2006 mit ver.di und der dbb tarifunion jeweils einen gleichlautenden „Tarifvertrag Nahverkehrsbetriebe Bayern“. Nach deren Kündigungen und zunächst gemeinsam geführten Verhandlungen erzielte ver.di mit dem KAV Bayern am 20. August 2010 eine Einigung. Die dbb tarifunion erklärte die Verhandlungen am 25. August 2010 für gescheitert und kündigte die Durchführung einer Urabstimmung über Streikmaßnahmen an. Mit Schreiben vom selben Tag forderte die Arbeitgeberin die in ihrem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer auf, unter Angabe von Name und Personalnummer mitzuteilen, ob man Mitglied in der GDL ist oder nicht.

Die GDL hat von der Arbeitgeberin verlangt, es zu unterlassen, die in ihrem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer nach einer Mitgliedschaft in der GDL zu befragen. Eine solche Frage verletze ihre durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Koalitionsfreiheit und sei generell unzulässig. Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat ihm mit Einschränkungen entsprochen. Der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat den Antrag insgesamt abgewiesen.

Zwar beeinträchtigt die Fragebogenaktion die kollektive Koalitionsfreiheit der GDL. Art. 9 Abs. 3 GG schützt als koalitionsmäßige Betätigung den Abschluss von Tarifverträgen und hierauf gerichtete Arbeitskampfmaßnahmen. Die geforderte Auskunft verschafft der Arbeitgeberin genaue Kenntnis vom Umfang und Verteilung des Mitgliederbestands der GDL in ihrem Betrieb. Sie zielt nach Art und Weise der Befragung während einer laufenden Tarifauseinandersetzung mit Streikandrohung darauf ab, den Verhandlungsdruck der GDL unter Zuhilfenahme ihrer Mitglieder zu unterlaufen. Das von der Arbeitgeberin vorgebrachte Interesse, die mit ver.di erzielte Tarifeinigung umzusetzen, rechtfertigt eine solche Befragung nicht.

Gleichwohl hatte der nicht auf den vorstehenden Sachverhalt beschränkte, sondern alle denkbaren Fallgestaltungen umfassende Unterlassungsantrag der GDL aus deliktsrechtlichen Gründen keinen Erfolg. Der Senat hatte daher nicht darüber zu befinden, ob in einem sogenannten tarifpluralen Betrieb grundsätzlich ein Fragerecht des Arbeitgebers nach der Gewerkschaftszugehörigkeit besteht oder nicht. Die weiteren Unterlassungsanträge der GDL waren aus verfahrensrechtlichen Gründen abzuweisen.

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 18. November 2014 – 1 AZR 257/13 –

Vorinstanz: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil vom 7. November 2012 – 12 Sa 654/11 –

Quelle „Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 18.11.2014